Gebäude auf dem Prüfstand
Nachhaltiges Planen und Bauen war lange Zeit eine Randerscheinung, der wenig Beachtung geschenkt wurde. Doch mit der Verschärfung der nationalen und internationalen Bauvorschriften, dem technologischen und wissenschaftlichem Fortschritt sowie mess- und vergleichbaren Kennwerten kommt heute kein Bauherr mehr daran vorbei.
Was auf den ersten Blick zusätzliche Erschwernisse und Kostensteigerungen bei der Gebäudeerrichtung bringt, ist bei genauerer Betrachtung vielmehr der Ausdruck einer gemeinsamen Verantwortung für den Planeten und für künftige Generationen. Über die vergangenen Jahrzehnte hinweg wurden sukzessive Nachhaltigkeitskriterien entwickelt, die den CO2-Ausstoß und das Abfallaufkommen bei der Errichtung, dem Betrieb und dem Abbruch eines Gebäudes reduzieren, den Energie- und Wasserverbrauch senken, die Nutzerzufriedenheit er-höhen und nicht zuletzt auch die Betriebskosten minimieren sollen.
Die Zeit, in der man unbedenklich an ökologischen Prinzipien vorbeibauen konnte, ist endgültig vorbei, wie zwei wesentliche Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit zeigen.
Paris wird kommen
Wer sich ein Bild über die Gebäude von morgen machen will, sollte sich zunächst einmal das Abkommen von Paris vor Augen führen, welches im Dezember 2015 im Rahmen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Dabei einigten sich die 195 Mitgliedstaaten der Konvention darauf, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf unter 2 °C bzw. möglichst 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu senken, um die Risiken und Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren. Um dieses ambitionierte Klimaziel überhaupt noch erreichen zu können, muss die Welt die Nettotreibhausgasemissionen zwischen 2045 und 2060 auf Null zurückfahren. Obwohl dieses Abkommen von den Teilnehmerstaaten erst ratifiziert werden muss, ist es völkerrechtlich bindend und zeigt, wohin die Reise geht.
Recycling gewinnt zunehmend an Bedeutung
Auch dem Recycling wird in absehbarer Zukunft im Zuge der Gebäudeerrichtung und Sanierung mehr Bedeutung beigemessen werden.
Dabei werden im ersten Schritt die Anforderungen definiert, die im Zuge von Gebäudeabbrüchen verbindlich sind. Dazu gehören etwa die Durchführung einer Schadstoff- und Störstoff-erkundung und ein verwertungsorientierter Rückbau von Bauwerken.
Diese Maßnahmen sollen eine bessere Umweltqualität und Eignung der Bauabfälle für die Herstellung von Recycling-Baustoffen bewirken und dadurch das Vertrauen in ihre Verwendung erhöhen. Auf diese Weise sollen sich am Markt letztlich auch nur qualitätsgesicherte, die Umwelt nicht beeinträchtigende recyclingfähige Baustoffe durchsetzen.
Zertifizierung in der Praxis
Hierzulande hat der Baukonzern PORR AG einen beachtlichen Erfahrungsschatz bei der Durchführung von Gebäudezertifizierungen aufgebaut.
Seit 2011 hat PORR über 90 Gebäudezertifizierungen begleitet, von denen etwa 15 Projekte bereits auch abgeschlossen sind. Maßgeblich daran beteiligt war Markus Auinger, Leiter der Gruppe Nachhaltigkeit in der PORR, DGNB-Auditor und Mitglied des Zertifizierungsausschusses der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienentwicklung (ÖGNI).
„Nachhaltigkeitsprinzipien sollten eine Klammer bilden, die sich vom Planungsbeginn bis zur Betriebsführung eines Gebäudes spannt“, erklärt Auinger. Und weiter: „Gebäudezertifizierungen sind ein äußerst nützliches Instrumentarium, um vermeintliche Interessenkonflikte zwischen Kosten, Qualität und den Auswirkungen auf Mensch und Umwelt aufzulösen oder zumindest zu minimieren.“
Darüber hinaus haben sich Gebäudezertifikate aber auch als nützlich erwiesen, wenn es darum geht, mit den internationalen und nationalen Vorgaben beim Bauen Schritt zu halten. Sie zeigen Wege auf, wie man mit Gebäuden um-gehen sollte, um Ressourcen zu schonen und Kosten zu reduzieren – ohne dabei die Umwelt oder künftige Generationen zu belasten. „Zertifizierungen sind ein wirkungsvoller Hebel für nachhaltiges Bauen“, ist Auinger überzeugt.
Zertifizierungssysteme
Zu den gängigsten Zertifizierungssystemen zählen heute das Zertifikat der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) sowie das US-amerikanische LEED (Leadership in Energy and Environmental Design), welches 1998 auf der Basis des britischen Zertifizierungssystems BREEAM entwickelt wurde, das die Riege der drei großen international verbreiteten Systeme zur nachhaltigen Gebäudezertifizierung abrundet.
Das österreichische Total Quality Building (TQB) der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (ÖGNB) bindet die häufig auch seitens der regionalen Förderung notwendige Bewertung der klima:aktiv Kriterien mit ein. Jedes Zertifikat setzt bei der Beurteilung von Ökologie und Nachhaltigkeit von Gebäuden seine Schwerpunkte bzw. Standards ein wenig anders. Alle unterstützen aber die Errichter, Bestandshalter, Betreiber und Selbstnutzer dabei, die Performance ihrer Gebäude unter Nachhaltigkeitsaspekten zu optimieren.
Erst im März dieses Jahres hat die DGNB ein neues Zertifikat zur Gebäudebewertung eingeführt. Dieses soll sich als besonders praktikabel für Gebäude in Betrieb erweisen. Das neue DGNB-Zertifikat umfasst neun Kriterien, womit es deutlich schlanker ist als die übrigen. Neben den klassischen Nachhaltigkeitsqualitäten wie Ökologie, Ökonomie und Soziales werden auch technische und prozessuale Aspekte berücksichtigt.
uinger beobachtet seit geraumer Zeit einen deutlichen Trend hin zu Gebäudezertifizierungen – sowohl national als auch international. Nicht nur in Österreich, Deutschland oder der Schweiz ist ein Bedeutungsgewinn von Gebäudezertifikaten festzustellen, sondern gleicher-maßen auch in Ost- und Südosteuropa. Einen wesentlichen Grund dafür sieht Auinger darin, dass zertifizierte Gebäude einen wesentlich größeren Spielraum in puncto (Wieder)Verwertung bieten.
Smarte Bauträger wissen diese Werkzeuge heute auch marketingtechnisch zu nutzen. Denn gerade gegenüber institutionellen Mietern wird es für Vermieter zunehmend schwieriger, attraktiv zu sein, wenn die Gebäude nicht zertifiziert sind.
„Heute berichten nahezu alle Unternehmen – insbesondere Aktiengesellschaften – auch ihre soziale Unternehmensverantwortung (CSR) an ihre Aktionäre. Da gehört ein Gebäudezertifikat mittlerweile fast schon zum guten Ton“, nennt Auinger den Grund für die steigende Zahl an zertifizierten Gebäuden.
Für Bauherren und Gebäudeeigentümer ist aber auch die Umnutzungsfähigkeit und Drittverwendungsfähigkeit einer Immobilie eine Frage von entscheidender Bedeutung.
Welche Baustoffe wurden verwendet, welche Nachweise liegen dazu vor? Wie kann man die Gebäudenutzung in 15 Jahren neu definieren, wenn sich am Standort etwas ändern sollte?
Und nicht zuletzt ergibt sich selbst bei einem Betrachtungszeitraum von lediglich 10 bis 15 Jahren eine vernünftige Kosteneffizienz, wenn man die Herstellungs-, Betriebs- und Wartungskosten eines Gebäudes mit in Betracht zieht.
Interview
Markus Auinger, Leiter der Gruppe Nachhaltigkeit bei PORR, DGNB-Auditor und Mitglied des Zertifizierungsausschusses der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienentwicklung (ÖGNI)
WEISS: Herr Ing. Auinger, Sie sind seit dem Jahr 2006 bei der Porr AG für Gebäudezertifizierungen zu- ständig und haben bereits an über 40 Zertifizierungen mitgewirkt. Können Sie uns erklären, wie eine Gebäudezertifizierung vor sich geht?
Auinger: Gebäudezertifizierungen sind eigentlich sehr einfach, erfordern jedoch eine ausgeprägte Disziplin. Man sollte sich als Bauherr in einer möglichst frühen Projektphase dafür entscheiden und sich Nachhaltigkeits- bzw. Zertifizierungsziele setzen. Bei uns findet zunächst eine Energieträgerdiskussion statt. Dabei überlegen wir, welchen Energiebedarf das betreffende Objekt haben wird und wie man diesen befriedigen kann. Dies hängt natürlich davon ab, ob etwa Grundwasser, Biomasse, Erdwärme, etc. als Energieträger grundsätzlich zur Verfügung stehen oder nicht. Ähnliche Überlegungen stellt man natürlich auch in Bezug auf die Licht- und Luftqualität, die Raumakustik, den Lärmschutz, oder auch die Mobilitätsangebote an. Das Resultat dieses Prozesses ist die Bauvergabe. Wenn diese sogenannten „weichen“ Kriterien in den Vergabeprozess einfließen, bauen die Unternehmen sukzessive auch Kompetenzen im Bereich nachhaltiges Bauen auf.
WEISS: Lässt sich bei den Bauträgern ein Trend in Richtung nachhaltiges Bauen erkennen?
Auinger: Ja, in der Tat. Dieser Trend ist zwar noch nicht flächendeckend, doch täglich sichtbar. Asfinag oder ÖBB etwa wenden sich zunehmend vom Billig- dem Bestbieterprinzip zu. Weiche Nachhaltigkeitsfaktoren werden unserer Erfahrung nach immer mehr mitberücksichtigt.
WEISS: Worin besteht Ihrer Meinung nach der größte Nutzen, den Gebäudezertifizierungen stiften?
Auinger: Ich sehe den eigentlichen Nutzen darin, dass man dabei die Ökonomie mit der Ökologie verschränkt. Allzu oft wird danach getrachtet, die Herstellungskosten zu minimalisieren. Der vermeintliche Konflikt zwischen Qualität und Kosten lässt sich mit Hilfe der Gebäudezertifizierung auflösen, etwa indem man den Betrachtungszeitraum ausdehnt. Betrachtet man die Herstellungs-, Betriebs- und Wartungskosten eines Gebäudes über einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren, stellt man sehr bald fest, dass nach- haltiges Bauen durchaus kosteneffizient ist.