INTERVIEW: Mit Erfahrung in die Zukunft

  • Winfried Kallinger blickt auf fünf Jahrzehnte Erfahrung als Bauträger und Immobilienentwickler zurück und hat die heimische Baukultur entscheidend geprägt. © Franz Pflügl/senft & partner
  • "Das Unangenehme an der Bauträgerschaft bzw. an der Architektur ist,d ass wir Dinge errichten, die den öffentlichen Raum für Generationen prägen." Winfried Kallinger© Franz Pflügl/senft & partner
  • "Wir suchen mit unseren Architekturpartnern den konstruktiven Dialog." Winfried Kallinger © Franz Pflügl/senft & partner

Von Kindesbeinen an war der studierte Jurist Winfried Kallinger von Baustellen fasziniert. Über Umwege zum Bauen gekommen, hat er als Mitbegründer der SEG wesentlich zur Entwicklung der heimischen Baukultur beigetragen. Als einer der „Erfinder“ des Bauträger-Wettbewerbs hat er die Projektentwicklung grundlegend verändert. Auch bei der Etablierung des Bauträgergewerbes hatte er seine Hände im Spiel. Nach fast fünf Jahrzehnten denkt der Brancheninsider noch lange nicht ans Aufhören und entwickelt nach wie vor Ideen und Lösungen, um das Bauen zu verfeinern.

WEISS: Eine Karriere in der Baubranche war nicht Ihre ursprüngliche Intention – eigentlich sollte Ihre berufliche Laufbahn in eine ganz andere Richtung gehen?

Winfried Kallinger: Das stimmt, Bauen hat aber schon immer eine Faszination auf mich ausgeübt, ich wollte jedoch nie Architekt oder Bauingenieur werden. Und so habe ich – nach einem kurzen Umweg über die Erdöltechnik an der Montanuniver­sität in Leoben – das Jus-Studium begonnen. Aus der Erkenntnis, wie komplex das Baugeschehen ist und wie komplex auch die Beziehungen zu den Nutzern sind, ist in mir die Überzeugung gereift, dass man das Ganze in einen rechtlichen Rahmen fassen muss. In einem ersten Schritt gewerberechtlich und später dann auch zivilrechtlich über das Bauträgervertragsgesetz.

Wieso gab es da aus Ihrer Sicht Handlungsbedarf?

Ursprünglich gab es da ein unglaubliches Durcheinander, und Bauen war rein wirtschaftlich konnotiert ohne Bewusstsein, dass Bauen auch ein wesentlicher Beitrag zur Stadt- oder Umgebungsentwicklung ist. Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg natürlich einen ungeheuren Bedarf an Gebäuden und Wohnungen, man hat aber kaum daran gedacht, dass es auch ein Bedürfnis gibt. Ein Bedürfnis nach guten Lebensum­ständen, einer ansprechenden Umgebung, nach Häusern, die mehr sind als einfach nur ein Dach über dem Kopf. Das hat sich erst in den 1970er-Jahren in der Stadterneuerungsbewegung langsam entwickelt. Das Mangelargument hat man aber bis in die 1980er-Jahre strapaziert und bei jedem Verbesserungsversuch die Arbeitsplatzkeule geschwungen. Für Stadterneuerung war da kein Platz, und Architektur hat einfach Geld gekostet.

Was bis zu einem gewissen Grad ja auch stimmt?

Natürlich kostet Architektur Geld, mittlerweile gibt es aber zum Glück ein breiteres Verständnis für die Notwendigkeit. Das Unangenehme an der Bau­trägerschaft bzw. an der Architektur ist, dass wir Dinge errichten, die den öffentlichen Raum für Generationen prägen. Das war auch der Grund, warum ich die Fronten gewechselt habe und aus dem Bauunternehmen meines Onkels ausgetreten bin. Ich wollte anderes gestalten, für mich war Bauen schon immer mehr als nur Ziegel aufeinander schlichten und Betonwände aufstellen. Wenn man baut, übernimmt man auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung.

War diese Überzeugung auch ausschlaggebend für die Gründung der SEG Stadtentwicklungsgesellschaft mit Erwin Wippel und Wolfgang Renezeder Anfang der 1980er-Jahre?

Ja, die SEG war aber auch mein Weg in die Selbstständigkeit. Ich war der junge Wilde in diesem Trio, der den Hintergrund des Bau- und Projektentmanagments aus der Baufirma heraus miteingebracht hat. Die SEG hatte als Zielsetzung, Architektur und Stadterneuerung bzw. diese damals neue Denkweise in konkrete Projekte umzusetzen. Das geschah in einer breiten politisch gesteuerten Kooperation zwischen der gemein­nützigen und gewerblichen Immobilienwirtschaft und den damaligen Wohnbaubanken. So wollte man eine breite Realiserungschance für die Stadterneuerung schaffen. Da ging es in Richtung Qualität steigern, Kosten senken und vor allem darum, Architektur in der Stadt umzusetzen. Das ist im Laufe der Jahre aber in einer gewissen partei­politischen Bevormundung erstarrt, was letztlich der Grund zur Gründung der jetzigen KALLCO außerhalb dieses rigiden Systems war. Weiss: Kurz nochmals zurück zum rechtlichen Rahmen: Sie waren maßgeblich beteiligt bei der Schaffung einer Gewerbeordnung für Bauträger, oder könnte man auch sagen, sie waren der Initiator? Winfried Kallinger: Das ist tatsächlich auf meinem Mist gewachsen. Es gab damals in der Wirtschaftskammer die Berufsgruppe der Immobilientreuhänder. Ich war für diesen Bereich rechtlich zuständig und habe in dieser Funktion die Gewerbeordnung für Bauträger vorangetrieben, und das wurde mit Unterstützung der Kammer 1988 dann auch tatsächlich umgesetzt. Ich habe damals sozusagen die Argumente geliefert und das Berufsbild formuliert. Und das ist im Großen und Ganzen auch heute nach wie vor fast unverändert gültig.

Die „Erfindung“ des Bauträgerwett­bewerbs geht ebenfalls auf Ihr Konto. Was ist das Bessere am Bauträgerwettbewerb?

Früher gab es ausschließlich Architekturwettbewerbe. Dem siegreichen Architekten wurde dann, vereinfacht gesagt, ein Bau­träger zugewiesen. Das hat eher leidlich funktioniert. Der Grundgedanke des Bauträgerwettbe- werbs war, dass Bauherren und Architekten sich auf gleicher Augenhöhe um die Lösung eines Projektes bemühen bzw. darum ringen – ohne dass einer den anderen „über den Tisch zieht“. Vorher gab es zwei sehr starre Blöcke. Das wollte ich mit dem Bauträgerwettbewerb überwinden, indem Teams aus Bauherren und Architekten gemeinsam zu einem Wettbewerb antreten und eine gemeinsame Lösung präsentieren, zu der beide stehen und für deren Kosten und Ergebnisse beide gerade stehen. 1995 war der erste Bauträgerwettbewerb, und in den ver­gangenen 20 Jahren hat sich die ganze Branche dramatisch verbessert.

In puncto Architekturqualität oder Ansprüche an die Stadtentwicklung ist die Ausgangs­lage heute sicher wesentlich besser als in der Nachkriegszeit oder auch in den 1960er- und 1970er-Jahren. Wenn man sich aber die Bevölkerungsentwicklung in den Ballungszentren ansieht, ist in den nächsten Jahren mit einem enormen Wohnbaubedarf zu rechnen. Sehen Sie die darin eine Gefahr für die Qualität des (Wohn)Baus? In welche Richtung wird es gehen?

Winfried Kallinger: Die Entwicklung zum Qualitätswohnbau wird vielleicht ein bisschen flacher – aber einen Rückschritt sehe ich als sehr unwahrscheinlich. Es ist die Branche insgesamt – also sowohl die Immobilienbranche als auch die Architektenschaft sowie die politischen Entscheidungsträger sind sich bewusst, dass die Zeit der billigen Massenquartiere und Mietskasernen vorbei ist. Aber es gibt sicher eine Tendenz zum großvolumigen Bauen – anders wird man den Bedarf nicht decken können. Dabei geht es auch um die Leist­barkeit. Die Wohn- und Mietkosten werden sich einbremsen müssen, weil sich sonst niemand mehr die Wohnungen leisten kann. Und großvolumiges Bauen ist einfach wesentlich günstiger.

Leistbarkeit ist auch eines der Themen bei der jüngsten Entwicklung von Kallco – dem SliM Building. Was versteckt sich dahinter?

Wenn man Kosten senken will, muss man bei der konstruktiven Struktur der Gebäude ansetzen. Bei Ausstattung und Accessoires kann man nicht viel herausholen. 50 bis 55 Prozent der Baukosten stecken im Rohbau. Deshalb haben wir in fast vierjähriger Arbeit ein eigenes Bausystem entwickelt, das ich als die Überwindung des Plattenbaus sehe. Das heißt, es gibt keine tragenden Fassaden mehr, sondern ein völlig offenes Modulsystem auf Basis eines weiterentwickelten, schlanken Stahlskelettbaus. Mit dem Unterschied, dass wir normale Massivdecken verwenden, wobei die Einbindung der Decke in die Stütze die eigentliche Neuentwicklung darstellt. Wir haben flache Decken ohne Konsolen oder Unterzüge und damit völlige Freiheit in der Positionierung der Zwischenwände. Mit einer Konstruktionsstärke von gerade einmal 12 Zentimeter können wir das System bis zu 20 Geschoße stapeln. Schließlich wissen wir nicht, wie die Wohnbedürfnisse in 30 Jahren sein werden – aber ich bin überzeugt, dass wir mehr Flexibilität brauchen. Wir haben heute nicht mehr die Arbeitsplatzsicherheit wie früher, genauso wenig die Lebenssicherheiten vergangener Tage und damit auch nicht mehr die Standortsicherheit. Man muss die Häuser „weicher“ halten, damit man sie irgendwann anpassen kann. Mit einer starren Scheibenbauweise komme ich da nicht weit.

Person
Dr. Winfried Kallinger, Gründer und Inhaber KALLCO Bauträger
geb. 1942 in Linz, verheiratet, 2 Töchter
1960-63: Studium der Erdöltechnik in Leoben
1964-68 Uni Wien – Dr. jur.
1976-2015 versch. Funktionen im FV Immo in der WKÖ
2000-dato Mitglied, dann Vorsitzender im ÖNORM-Ausschuss zum BTVG
2000-2015 Lehrauftrag an der Donau Uni Krema
2000-2015 Lehrauftrag an der FH Immo Wien
2002 Handbuch Bauträger & Projektentwickler, Manz (mittlerweile 7. Auflage)
2002 Großes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik
2007 Silbernes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien
2013 Ernennung zum FH-Prof.