Schule neu gedacht
Die Sanierung des Bildungssystems ist in Österreich ein gesellschaftspolitisches Thema ersten Ranges. Die heimische Bildungslandschaft ist im Umbruch, die Art und Weise wie Wissen in Zukunft vermittelt wird, soll sich dramatisch ändern: Weg vom Frontalunterricht hin zum individualisierten, zielorientierten und in weiten Bereichen eigenständigen Kompetenzerwerb. Dazu bedarf es auch einer Bildungsarchitektur, die das neue Lehren und Lernen unterstützt.
„Die Qualität von Bildungsbauten - von den Kindergärten über Schulen und Hochschulen bis hin zu Orten der Erwachsenenbildung - spiegelt die Wertschätzung wider, die eine Gesellschaft dem Thema Bildung sowie den dort Lernenden und Lehrenden entgegenbringt. In den letzten Jahren haben sich die Anforderungen an unsere Bildungsinstitutionen gewandelt: weniger Frontalunterricht, mehr Eigeninitiative und individuelle Förderung, Arbeit im Team, ganztägige Schulformen und eine bessere Vernetzung der einzelnen Institutionen sind wichtige Bausteine für ein zeitgemäßes Lehren und Lernen. Zu dieser besseren Schule gehört auch ein besseres Haus“, heißt es vonseiten der Plattform schulUMbau.
Unterstützt von der „Initiative neues lernen Köck Privatstiftung“ ist die Plattform ein loser Zusammenschluss von Pädagogen und Pädagoginnen, Fachleuten der Schulverwaltung und Architekturschaffenden, mit dem Ziel Denkanstöße für einen zeit- und kindgemäßen Schulbau zu liefern. Erstes Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist eine Charta, die die Grundzüge eines zeitgemäßen Umgangs mit Lehr- und Lernräumen zusammenfasst. Die insgesamt elf Punkte der Charta sollen dabei eine Diskussionsgrundlage für den Neu- sowie den Umbau von Bildungsinstitutionen bilden.
"Diese Charta ist geeignet, ein gemeinsamer Qualitätsleitfaden für die tausenden Schulerhalter in Österreich zu werden", zeigte sich auch Bildungsministerin Claudia Schmid anlässlich der Überreichung der Charta samt 900 Unterstützungsunterschriften überzeugt.
Der Raum als Pädagoge
Entscheidend für den Lernerfolg ist eben nicht nur das Was und das Wie gelehrt und gelernt wird, sondern auch das Wo – sprich das Umfeld bzw. der Ort der Wissensvermittlung. „Der Raum ist der dritte Pädagoge“, postulierte in diesem Zusammenhang schon der italienische Reformpädagoge Loris Malaguzzi. Neben den Mitschülern als ersten und den Lehrern als zweiten Pädagogen kommt damit auch der Architektur als drittem Part im Bildungskanon eine besondere Bedeutung zu. „Neben den agierenden Personen ist es zu einem wesentlichen Teil auch das Schulhaus selbst, das unsere Persönlichkeit formt und prägt. Dabei geht es nicht nur um gute Architektur, sondern darum dass die gebaute Umgebung die darin praktizierte Pädagogik optimal unterstützt“, sagt Karin Schwarz-Viechtbauer, Direktorin des Österreichischen Instituts für Schul- und Sportstättenbau (ÖISS).
Wie diese bauliche Unterstützung in Architektur gegossen werden kann, weiß Architekt Gerhard Kopeinig vom Architekturbüro ARCH + MORE. Mit dem Umbau und der Sanierung auf Passivhausstandard des Schulzentrums Neumarkt in Kärnten konnte das Architektenteam seine Vorstellungen von einer zeitgemäßen Bildungsarchitektur erstmals umsetzen. Infolge der sinkenden Schülerzahlen mussten Klassen reduziert werden. Den so gewonnenen Raum nutzten die Planer zur Vergrößerung der Allgemeinbereiche und schufen darüber hinaus auch ein lichtdurchflutetes, dreigeschoßiges Foyer als zentrale Kommunikationszone im Gebäude. „Bildung braucht Raum! Mit Licht, Luft, Materialität, Atmosphäre – dann wird der Raum nicht allein zur notwendigen Klimahülle, sondern zum selbsterklärenden Pädagogen.“
Kopeinig spricht in diesem Zusammenhang auch von der Zonierung des Schulgebäudes in öffentliche, halbprivate und private Bereiche. Wobei er den Klassenraum selbst zu letzterer Kategorie zählt, der vorrangig als Rückzugsort denn als Unterrichtsraum dient. „Es braucht diesen Rückzugsraum und letztendlich ist die Klasse für die Schüler auch ein Ort, mit dem sie sich identifizieren“, so Kopeinig. Darüber hinaus muss man aber auch informelle Freiräume im Gebäude schaffen - Relaxzonen und Lernnischen, wo die Schüler abseits des Unterrichts ausspannen oder miteinander Lernen können und sich gegenseitig Unterstützung leisten.
Die klassenlose Schule
Gerade im Hinblick auf offene Lernkonzepte oder die Ganztagsschule bedarf es eines grundlegenden Umdenkens in Bezug auf die Bildungsstätten. Die genormte Klasse mit den vielfach immer noch vorgegebenen Standardabmessungen von neun mal sieben Metern hat angesichts des Umbruchs in der Bildungslandschaft längst ausgedient. Eine Schule ganz ohne Klassenräume und Lehrerzimmer ist hierzulande derzeit (noch) kaum vorstellbar.
Ganz anders sehen das beispielsweise die Skandinavier, die in puncto (Schul)Raumkonzepte vielerorts schon einen großen weiter sind. Wie zum Beispiel bei der Errichtung eines Gymnasiums im Kopenhagener Stadtteil Ørestad. Dort wurde vom dänischen Architektenteam 3XN bereits im Jahr 2007 eine Schule errichtet, die auf Klassen im konventionellen Sinne verzichtet. Stattdessen gibt es in dem offenen Raum zahlreiche Passagen, Nischen oder Teilräume, die sich mittels mobiler Trennschiebewände flexibel zum großräumigen Foyer öffnen oder schließen lassen. Die hierarchiefreien Räume sollen bei den knapp 1.000 Schülern, die Fähigkeit zum individuellen, selbstorganisierten Lernen und zur Teamarbeit fördern.
Geniale Vorbilder
Vereinzelt finden sich auch in Österreich Bildungsbauten, die sich architektonisch an neuen pädagogisch-didaktischen Konzepten orientieren und sich dabei durch flexible Raumgestaltungen und niedrige Lebenszykluskoten auszeichnen. Zwei davon wurden unlängst mit dem BAU.GENIAL Preis 2015 ausgezeichnet: die Kindergartenerweiterung im niederösterreichischen Maria Anzbach sowie das Bildungszentrum in Altmünster in Oberösterreich.
Beide Holzbauten zeichnen sich durch ihre hohe strukturelle Flexibilität aus sowie die hohen Qualitäten in Bezug auf die eingesetzten Materialien sowie den Umgang mit Tageslicht aus. Beim vergleichsweise kleinen Umbau des Maria Anzbacher Kindergartens hob die Jury unter dem Vorsitz von Gerhard Kopeinig vor allem die flexible Nutzungsstruktur, den hohen Detailierungsgrad, der von der Gesamtplanung über die Möblierung bis hin zur Gestaltung der Übergangszonen als temporäre Nutzungszonen. Bei der Landwirtschafsschule in Altmünster waren es die Blickbeziehungen sowohl innerhalb des Gebäudes als auch zum Außenraum sowie die Flexibilität in der Raumnutzung, die die Jurymitglieder überzeugte.
„In dieser Form kann Schulraum wirklich zum Lebensraum werden“, so das Jury-Fazit.