Kunstuni (baulich) neu gestimmt
Architektonisch galt es, die Reminiszenzen an die Musik aus dem Grundriss in die dritte Dimension zu übertragen. Bautechnisch und klimatisch mussten Bestand und Erweiterung vereint werden, ohne sich akustisch nachteilig zu beeinflussen. Eine Herkules-aufgabe für alle an der Errichtung, Sanierung und Erweiterung beteiligten Professionisten, die zu alledem auch noch unter gehörigem Zeitdruck standen.
Mit rund 2.300 Studenten aus über 70 Ländern zählt die Universität für Musik und darstellende Kunst – kurz Kunstuni Graz – zu den größten Kunstuniversitäten Europas. Gegründet im Jahr 1816 als Singschule des Musikvereins Steiermark ist sie gleichzeitig auch die älteste Kunstuniversität in Österreich. An insgesamt 17 Instituten, zwei Doktoratsschulen und einem Zentrum für Genderforschung bietet sie eine breite Palette an Studien und Forschungsmöglichkeiten – von historischer Musik und klassischem Instrumentalstudium über Jazz bis hin zu elektronischer Musik oder Sounddesign. Ergänzt wird das Angebot durch Musikologie, Komposition und Orchestrierung sowie Schauspiel, Bühnengestaltung und Elektrotechnik bzw. Ton-Engineering.Â
Technisches und architektonisches Update
Nach über 200 Jahren, zahlreichen Umbauten, Zubauten und Erweiterungen war die Kunstuni Graz in die Jahre gekommen und optisch keine Augenweide mehr. Dazu kam angesichts der über die vergangenen Jahre kontinuierlich steigenden Studierendenzahl aus aller Welt auch, dass das Gebäude buchstäblich aus allen Nähten platzte und man kaum noch einen reibungslosen Unterrichtsbetrieb sicherstellen konnte. Deshalb lobte die Bundesimmobiliengesellschaft als Liegenschaftseigentümer und Bauherr im Jahr 2018 einen EU-weiten, offenen, einstufigen Realisierungswettbewerb für die Sanierung und Erweiterung des Institutsgebäudes in der Brandhofgasse 21 aus. Unter dem Vorsitz von Architekt Peter Riepl entschied sich die elfköpfige Jury aus insgesamt 18 Einreichungen für den Wettbewerbsbeitrag des Grazer Architekturbüros Tritthart + Herbst. „Vor der Erweiterung waren am Standort zwei Gebäude vorhanden, die durch einen schluchtartigen Hof getrennt waren, der vorrangig als Müll- und Fahrradabstellplatz genutzt wurde“, erinnert sich Gregor Tritthart. „Es gab außerdem keinen attraktiven Vorbereich und einen Eingang nur in der zweiten Reihe“, so Tritthart weiter.
Räumliche Neudefinition
Im Zuge der Erweiterung wurde das Institutsgebäude direkt an der Brandhofgasse aufgestockt und über einen neuen Zubau mit dem bestehenden Bibliotheksgebäude verbunden. Der neue Eingangsbereich ist jetzt hell und freundlich und verleiht der Straßenfront ein einladendes Gesicht. Die gläserne Fassade erinnert mit ihren Metalllamellen in einem goldgelben Farbton an Klavier- und Harfensaiten und verbindet charmant den Innen- mit dem Außenbereich, indem sie den Einblick einerseits in den Bestand und zum anderen in den neuen Ensembleraum darüber erlaubt. Das räumlich großzügige und lichtdurchflutete Foyer erstreckt sich über drei Geschoße und erschließt die beiden Gebäudeteile über ein gemeinsames Stiegenhaus. Zusätzlich bietet es Platz für offene Kommunikationszonen und eine größere Cafeteria. In den oberen Geschoßen wurden im Zuge der Aufstockung darüber hinaus auch weitere Unterrichtsräume geschaffen. „Das Wichtigste war uns, die Bestandsgebäude zu einer Einheit zu verschmelzen und den Zwischenraum als attraktiven Aufenthaltsbereich für die Studierenden und das Lehrpersonal nutzbar zu machen“, so Gregor Tritthart zum räumlichen Konzept seines Entwurfs: „Die Erweiterung lässt die beiden Gebäude zu einer Einheit verschmelzen und schafft ein neues, der Bedeutung entsprechendes Entrée. Der Vorplatz, auch wenn er nach wie vor nicht besonders groß ist, hat nun eine hohe Aufenthaltsqualität.“
Umfassende Bestandssanierung
Im ersten Bauabschnitt wurde der bauliche Bestand akustisch und klimatisch auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Um die Nachbarschaft nicht mit Musik- und Gesangsproben dauerhaft zu beschallen, konnten die Fenster während des Unterrichts nicht geöffnet werden. Was aufgrund der fehlenden Belüftungsanlagen schon lange ein Problem für die Nutzer darstellte und die Installation einer Lüftungsanlage dringend erforderlich machte. Dabei galt es aber gleichzeitig, die Akustik der Räume nicht nachhaltig zu verändern. Im Rahmen der Sanierung musste deshalb zwischen bau- und raumakustischen Anforderungen unterschieden werden.
Schall, Klima und Akustik im bautechnischen EinklangÂ
Bauakustisch bestand das Problem hauptsächlich zwischen nebeneinanderliegenden Unterrichtsräumen. Hier wurde eine weitgehende Unhörbarkeit der Instrumente im benachbarten Raum verlangt, was einen Schalldämmwert der Trennwände von rund 70 Dezibel erfordert. Diese Anforderung galt natürlich auch für die nachträglich eingebaute Lüftungsanlage. Für die Lüftungstechniker stellte das nicht nur technisch eine gehörige Herausforderung dar, sondern aufgrund der beschränkten Raumverhältnisse auch in der Umsetzung. Die wichtigste bauliche Maßnahme war das Ersetzen der vorhandenen Trennwand durch eine Doppelwand aus Blähton-Betonsteinen, die mit beidseitigem Trockenputz aus Glaswolle/GK-Sandwich-platten schalltechnisch verbessert wurde. Im Zuge der Sanierung wurden die Vorsatzschalen entfernt, die Betonsteinwand mit mindestens 30 Millimeter dickem, schwerem Zementputz verputzt und beidseitig mit freistehenden Vorsatzschalen mit RIGIPS Duo’Tech beplankt. Hier war vor allem das ausführende Trockenbauunternehmen Schreiner aus Graz besonders gefordert.
Der Raum als Instrument
Raumakustisch musste die Nachhallzeit über alle Frequenzbänder hinweg auf ca. 0,4 Sekunden gebracht werden. Unterstützung holte sich das Planerteam dabei von Professor Karl Bernd Quiring von Quiring Consultants, der den Raum wie ein Instrument betrachtete, das nicht „zu Tode gedämpft werden darf, sondern einen Klang besitzt, der für die Wahrnehmung der Musik unerlässlich ist“, so der Akustikexperte. Wesentlich für den Erhalt dieser Klangqualität ist die Diffusität des Raums. Um diese zu gewährleisten, sollten gegenüberliegende Flächen nicht parallel zueinander stehen. Im Grundriss war das bereits vorgegeben, in der Decke wurde es durch eine geknickte Ausführung der abgehängten Gipskartondecke, die schon als bauakustische Notwendigkeit vorhanden war, erreicht. Als Absorber wurde unter dieser Decke ein ca. 50 Zentimeter breites Randfries aus gelochten GK-Platten abgehängt. Der Hohlraum von 18 Zentimetern wurde zudem mit Mineralwolle verfüllt. Um die restliche Reduktion der Nachhallzeit kümmerte sich der Bautischler, der Tiefenabsorber aus gelochten Holzplatten installierte, die neben der Funktion als Türen auch gleichzeitig als Garderobe dienen. Darüber hinaus wurden zahlreiche Wandabsorber in gelochter oder poröser Ausführung im Raum installiert, wie beispielsweise Bilder in deckenintegrierten Bilderschienen, die in der Lage sind unterschiedliche Frequenzbereiche zu absorbieren.
Komprimierte Realisierung  Â
Neben den zahllosen baulichen, bauphysikalischen und akustischen Herausforderungen stellte der enge Zeitplan für die Ausführenden die größte Hürde in der Projektrealisierung dar. Da die Kunstuniversität nicht ausgesiedelt werden konnte, wurden alle Umbauarbeiten sowie die Rohbauarbeiten für die Erweiterung in die Sommermonate von Anfang Juli bis Ende September gelegt. Während der Unterrichtszeiten konnten die ausführenden Bauunternehmen lediglich bis neun Uhr morgens lärmverursachende Arbeiten im Gebäude verrichten.  Â
FAKTEN:
Universität für Musik und darstellende Kunst (Kunstuni) Graz, Brandhofgasse 21, 8010 Graz
Bauherr und Eigentümer: Bundesimmobiliengesellschaft, 1020 WienÂ
Architektur und Generalplanung: Tritthart + Herbst Architekten ZT-GmbH, 8010 Graz
Örtliche Bauaufsicht: TDC Ziviltechniker GmbH, 8141 Premstätten               Â
Bauakustik: Quiring Consultants Akustik und Bauphysik, 6071 Aldrans
Ausführendes Trockenbauunternehmen: Schreiner Trockenbau GmbH, 8055 Graz
Saint-Gobain Austria Fachberatung:Â Manfred KrammerÂ
Zitat:
"Das wichtigste war uns, die Bestandsgebäude zu einer Einheit zu verschmelzen und den Zwischenraum als attraktiven Aufenthaltsbereich für die Studierenden und das Lehrpersonal nutzbar zu machen.“
Architekt Gregor Tritthart