Luxusherberge an der Amstel

  • Mit viel Liebe zum Detail und großem Respekt vor dem historischen Bestand wurde das ehemalige Rathaus der Gemeinde Nieuwer-Amstel zum Fünf-Sterne-Luxushotel umgebaut.© Annemarie van Vugt Fotografie
  • Zwei zusätzliche Gebäudetrakte erhöhen das Zimmerangebot auf insgesamt 155 vermietbare Einheiten, die durch eine Farbgestaltung in Naturtönen und viel natürliches Tageslicht über hohe Aufenthaltsqualität verfügen. © Pestana Amsterdam Riverside
  • Die größten Veränderungen fanden unter anderem im Dachgeschoß statt.© Schuurmans Afbouwsystemen B.V. (Vught, the Netherlands)
  • Der über acht Meter hohe Dachstuhl wurde zu zweigeschoßigen Luxussuiten ausgebaut, wobei ein Großteil der konstruktiven Elemente sichtbar erhalten wurde.© Pestana Amsterdam Riverside
  • Die Sanierung des Bestandes erfolgte unter dem gestrengen Auge der Denkmalschützer. Ein Großteil der Sanierungsarbeiten wurde mit traditionellen Materialien in alter Handwerkskunst durchgeführt.© Saint-Gobain Gyproc Netherlands

Nur knapp vier Jahre wurde es tatsächlich als Rathaus der Dorfgemeinde Nieuwer-Amstel genutzt, später als Stadtarchiv und Teile des Ensembles als Diamantenschleiferei. Zuletzt stand es fast ein Jahrzehnt leer und war dem Verfall preisgegeben. Bis sich die Pestana Hotel Group des imposanten Bauwerks annahm, es aus dem Dornröschenschlaf erweckte und mit viel Liebe zum Detail und großem Respekt vor der historischen Bausubstanz in ein Fünf-Sterne-Luxushotel verwandelte.  

Mit der Eröffnung eines eigenen Rathauses direkt an der Grenze zu Amsterdam im Jahr 1892, wollte die kleine Dorfgemeinde Nieuwer-Amstel ein bauliches Zeichen setzen, um die drohende Eingemeindung durch Amsterdam zu verhindern. Der Plan ging nicht auf: Nur knapp vier Jahre später wurde Nieuwer-Amstel zum neuen Stadtteil Amstelveen der niederländischen Hauptstadt. Das nicht mehr gebrauchte Rathaus wurde zum Archiv umfunktioniert und beherbergte über viele Jahrzehnte das Stadtarchiv. 1914 folgte mit der Errichtung eines Depotflügels der erste Erweiterungsbau. Der so entstandene Gesamtkomplex steht heute unter Denkmalschutz und war Ausgangspunkt und stilistische Vorlage für die jüngsten Sanierungs- und Erweiterungsbauten im Zuge der Errichtung eines Luxushotels durch die Entwicklungsgesellschaft Amsteldijk Hotel Ontwikkeling B. V.

Was lange währt …

In den Nachkriegsjahren folgten auf dem weitläufigen Gelände zahlreiche modernistische Erweiterungen, die als reine Funktionsbauten ohne architektonischen Anspruch errichtet wurden, um den wachsenden Platzbedarf des Archivs zu stillen. All diese Zubauten wurden im Zuge der aktuellen Umgestaltung abgerissen und durch neue Baukörper ersetzt, die sich zwar stilistisch an den historischen Bestand anlehnen, aber mit ihrer wesentlich zurückhaltenderen Ausgestaltung und Detaillierung der Fassaden sich diesem deutlich unterordnen. Die ursprüngliche Planung sah die Realisierung luxuriöser Wohnungen in den beiden Bestandsgebäuden sowie den neu zu errichtenden Zubauten vor. Doch die Finanz- und Immobilienkrise machte dem Entwickler-Konsortium aus Wohnbauträger, Landschaftsplaner und Architekten einen Strich durch die Rechnung und das Projekt wurde damals vorerst auf Eis gelegt.

 Bauliche Interventionen

Die ursprünglichen Pläne wurden den neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst und das Wohnbauvorhaben in ein Hotelprojekt umgewandelt. In den beiden Bestandsgebäuden finden neben der repräsentativen Lobby auch ein großzügiges Restaurant in den angebauten Wintergärten sowie Seminarräume und ein Tagungszentrum Platz. Darüber hinaus wurden in den Obergeschoßen 50 neue Hotelzimmer errichtet. Dabei wurde auch das rund achteinhalb Meter hohe Dach in zwei Etagen ausgebaut. Trotzdem reichte die Anzahl der Zimmer nicht aus, um das Hotel mit angestrebten 24-Stunden-Fünf-Sterne-Service wirtschaftlich zu betreiben. Erst die Erweiterung um zwei weitere Gebäudetrakte hinter den Straßentrakten und die Erhöhung des Zimmerangebots auf insgesamt 155 vermietbare Einheiten machte dies möglich. Die beiden Wintergärten – einer direkt an der Straße, der andere in Richtung der gartenseitigen Terrasse – öffnen das zuvor geschlossene Erdgeschoß, das ursprünglich zwar oberirdisch, rein baulich aber als Kellergeschoß angelegt war. Dafür wurden unter anderem die massiven tragenden Wände im Sockelgeschoß großflächig aufgebrochen und die Tragkonstruktion mit weit gespannten Stahlträgern erhalten. So präsentiert sich das neue Erdgeschoß als offener, fließender Raum, der die Durchsicht von der straßenseitigen Fußgängerzone bis zum Terrassengarten auf der anderen Gebäudeseite ermöglicht. Die repräsentativen Räume des alten Rathauses, die Empfangshalle und der Ratssaal sind nun wieder der Öffentlichkeit zugänglich.

Originalgetreue Sanierung 

Unter dem strengen Auge der Denkmalschützer stellte die Sanierung des Bestandes sowohl in der Planung als auch in der Ausführung für alle an der Realisierung des Projekts Beteiligten die wohl größte Herausforderung dar. Alle erforderlichen Restaurierungs- und Sanierungsarbeiten – wie zum Beispiel die vollständige Wiederherstellung der Nordfassade nach Abbruch der Anbauten – wurden mit traditionellen Werkzeugen und Materialien nach alter Handwerkskunst durchgeführt. 
Am aufwändigsten im gesamten Projekt gestaltete sich die Sanierung und Erhaltung der monumentalen Dachkonstruktion. Vor allem deshalb, weil die historische Konstruktion einerseits erhalten bleiben musste und zum anderen gleichzeitig den hohen Anforderungen in Hinblick auf Wärme-, Schall- und Brandschutz zeitgemäßer Wohn- bzw. Hotelräume genügen sollte. Um die Konstruktion sichtbar zu belassen – eine der Auflagen des Denkmalschutzes – stand vergleichsweise wenig Einbauhöhe für die erforderliche Dachdämmung zur Verfügung. Erschwert wurden Planung und Ausführung auch durch das Fehlen jeglicher Bestandspläne des Dachstuhls. Das verwinkelte Dachtragwerk machte auch den Antransport von Baumaterialien zu einem dreidimensionalen Puzzlespiel in luftiger Höhe. Über maßgeschneidert zwischen die Balken und Sparren gezimmerte Innengerüste auf unterschiedlichen Standniveaus musste das gesamte Material weitest-gehend manuell vertragen werden.

Trockenbau-Meisterleistung    

Vor allem für den trockenen Innenausbau gestaltete sich die Montage der Trennwände und die Innenbekleidung der Dachflächen wie die Herstellung eines riesigen Flickenteppichs aus Gipskarton. Die Metallständerwände wurden millimetergenau in die zahllosen Holzverbindungen und die einzigartige Sparrenkonstruktion eingepasst. Zusätzlich wurde eine innenliegende Haustrennwand errichtet, die einen Teil der Dachkonstruktion brandbeständig einhaust, gleichzeitig aber auch so viel wie möglich der Holzkonstruktion sichtbar belassen musste. Weiters wurden kleine Ziergauben in Trockenbauweise in die Dachkonstruktion integriert. Nach der Bekleidung mit Gipskartonplatten wurden diese in höchster Oberflächengüte gespachtelt und anschließend gestrichen. Dabei durften die alten Balken weder beschädigt, noch verunreinigt werden, was sowohl höchstes handwerkliches Können als auch Genauigkeit erforderte, bei gleichzeitig oft nur schwer zugänglichen Flächen. Um exakte Zuschnitte der Platten erstellen zu können, wurden von allen Flächen zuerst Schablonen angefertigt und anschließend im Werk auf die Gipskartonplatten übertragen.

Logistischer Balanceakt

Eine der größten Herausforderungen stellte bei dem erhöhten Zeitbedarf für alle Ausführungsarbeiten bei einem sehr engen Zeitplan für die gesamte Bauausführung auch die zeitliche Koordinierung der unterschiedlichen Gewerke dar, die alle streng ihre Zeitfenster einhalten mussten, um eine termingerechte Übergabe sicherzustellen. „Bei einem Projekt wie diesem waren wir ständig mit der Logistik und dem Umschlag von Materialien beschäftigt“, erklärt der verantwortliche Bauleiter des Trockenbauunternehmens Schuurmans Afbouwsystemen. „Die ‚Briefmarke‘, auf der wir uns über den gesamten Bauablauf im Dachgeschoß bewegten, machte ein Zwischenlagern von Baumaterialien faktisch unmöglich“, so der Bauleiter weiter. Deshalb wurde ein Großteil der erforderlichen Zuschnitte gemäß den vor Ort abgenommenen Vorlagen bereits im Werk vorgefertigt, um nicht nur die Materialmenge für die Verarbeitung vor Ort so gering wie möglich zu halten, sondern auch um nahezu keine Abfälle zu produzieren. Denn die Lagerflächen waren bei diesem Projekt so gut wie nicht vorhanden und schon gar nicht durften Abfälle länger als ein paar Stunden den Platz verstellen. Zudem gestaltete sich der Abtransport von Abfällen nicht minder aufwändig als Antransport von Materialien.     

FAKTEN:
Generalsanierung, Umbau und Erweiterung ehemaliges Rathaus von Nieuwer-Amstel, Amsteldijk 67/1074 Amsterdam (NL) 

Bauherr:                               
Amsteldijk Hotel Ontwikkeling B. V.

Architekt:  
Villanova Architekten, Rotterdam (NL)

Innenarchitektur: 
Studio Leinsamkeit, Amsterdam (NL)

Bauausführung:
Kondor Wessels, Amsterdam (NL)

Trockenbau: 
Schuurmans Afbouwsystemen B. V., Vught (NL)

Tragwerksplanung:
Van Rossum, Amsterdam (NL)

Raumprogramm:
Lobby, Restaurant, Seminarräume und Tagungseinrichtungen sowie 50 Hotelzimmer im Altbestand
Konferenzzentrum, Wellnesseinrichtungen und 73 Zimmer im Anbau
32 Shortstay-Einheiten im freistehenden Neubau

Baukosten (exkl. MwSt.): 24 Mio. € 
Planungsbeginn:  2008
Fertigstellung:  2017

 

Zitat:

"Die ‚Briefmarke‘, auf der wir uns über den gesamten Bauablauf im Dachgeschoß bewegten, machte ein Zwischenlagern von Baumaterialien faktisch unmöglich.“
Bauleiter, Schuurmans Afbouwsystemen   Â