Preisgekrönte Ingenieurbaukunst
Da, wo noch bis vor kurzem nur das Unkraut aus dem Asphalt spross, sprießen jetzt die Ideen. Das neue Atrium macht’s möglich, denn es verbindet nicht nur die beiden Baukörper auf allen vier bestehenden Ebenen, sondern schafft neben neuen Verbindungen ein zusätzliches Raumangebot zum Lernen, Forschen, Studieren und Kommunizieren – umhüllt von einer spektakulären, mehrfach preisgekrönten Konstruktion aus Stahl. ..und Glas. Â
Die Universität von Sheffield ist weit über die Landesgrenzen des Vereinigten Königreichs hinaus bekannt, unter anderem für ihre Ingenieurforschung und ihre hochkarätigen Forschungspartnerschaften mit Branchenführern wie beispielsweise Rolls-Royce, McLaren, Siemens, Unilever oder BAE Systems. Unter den Absolvent/innen und ehemaligen Mitarbeiter/innen der Universität finden sich neben sechs Nobelpreisträgern, auch mehrere Staatsoberhäupter, britische Innenminister, Astronauten oder olympische Goldmedaillengewinner. Die Gründung der Universität von Sheffield geht auf die Eröffnung der Sheffield Medical School im Jahr 1828 zurück. Zur Universität erhoben wurde sie unter Edward VII. im Jahre 1905.
Zeitreise durch die Architektur
Seit ihrer Gründung ist die Universität von Sheffield stets gewachsen – sowohl inhaltlich als auch räumlich. Heute besteht sie aus 50 akademischen Abteilungen, aufgeteilt auf fünf Fachfakultäten und eine internationale Fakultät. Die einzelnen Gebäude bilden keinen geschlossenen Campus, wie er bei größeren Universitätskomplexen im englischsprachigen Raum sonst üblich ist. Der Großteil der insgesamt rund 430 Gebäude liegt aber trotzdem unmittelbar nebeneinander. Die Architektur wurde stets dem Zeitgeist und dem baulichen Stil der jeweiligen Epoche entsprechend errichtet und zeigt heute ein zeitliches Portfolio vom viktorianischen Stil über die Moderne bis in die Gegenwart.
Verbindungsglied
Die bislang jüngste bauliche Erweiterung wurde im vergangenen Frühjahr eröffnet und stellt kein eigenständiges Gebäude im eigentlichen Sinn dar, sondern ist vielmehr das neue Verbindungsglied zweier historischer Baukörper im viktorianischen Stil. Zwischen die aus rotem Ziegel und Steinelementen bestehenden Fassaden setzte das Architekturbüro Bond Bryan Ltd. ein bis zu viergeschoßiges Atrium aus Stahl und Glas, das den Eindruck erweckt, als hätte eine Âgigantische Wasserwelle den ehemals ungenutzten Innenhof zwischen den beiden Gebäuden gerade eben geflutet und würde noch zwischen deren Traufenkanten hin- und herschwappen. Das neue Atrium löst das bis dahin bestehende Problem der Unverbundenheit zwischen dem unter Denkmalschutz stehenden Frederick Mappin Building und dem Central Wing im Herzen des Universitätskomplexes. Heartspace lautet so auch der Name für dieses Bindeglied, das zusammenbringt, was bis dato getrennt war und die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Nutzer/innen lange Zeit erschwerte.   Â
Inspiration über Kopf
Sehr passend beherbergen die beiden – nun mit einer sympathischen architektonischen Geste verbundenen – historischen Gebäude die Fakultät für Ingenieurwesen, die für ihre Expertisen und Forschungen weltweit höchstes Ansehen genießt. Die Lehrenden, Studentinnen und Studenten können sich nun tagtäglich von einer außergewöhnlichen Konstruktion und ingenieursmäßigen Meisterleistung über ihren Köpfen inspirieren lassen.
Das neu errichtete Atrium beherbergt unter seinem gläsernen Dach mit einer Fläche von rund 1 400 Quadratmetern nicht nur eine großzügige Eingangs- und Empfangszone direkt an der Portobello Road, sondern auch eine Cafeteria für das Universitätspersonal und die Studierenden sowie weitere Sozialräume, Hörsäle, neue Labore und Büros für die Fakultätsmitglieder in zwei einander gegenüberliegenden bis zu viergeschoßigen Einbauten.
Transformation
Heartspace überdacht den bis dahin ungenutzten Innenhof und transformiert die wenig ansprechende Gebäudeschlucht in ein voll funktionsfähiges Bauvolumen, das Universität und Stadt um ein neues architektonisches Highlight bereichert.
Die größte Herausforderung für Architekten und Statiker stellte die Abstützung der Dachkonstruktion dar. Um eine klare Trennung zwischen historischem Bestand und baulicher Erweiterung zu schaffen, vor allem aber um eine Ãœberlastung der angrenzenden Gebäude zu verhindern, musste die gesamte Dachkonstruktion statisch unabhängig von den angrenzenden Gebäuden selbstragend ausgeführt werden. Die Lösung fand sich in stählernen „Baumsäulen“, die als charakteristische Designelemente in das Atrium integriert wurden. Dabei sind die Verbindungen zwischen den Säulen und die Anordnung der einzelnen Äste so gewählt, dass sie die historisch wertvollen Elemente der Fassade nicht verdecken, sondern ihnen vielmehr einen Rahmen verleihen.Â
Anstelle klassischer Hohlprofile für die Fertigung der Säulen wurden sich nach oben verjüngende Stahlprofile verwendet. Damit erscheinen die Säulen deutlich schlanker und zusätzlich können die unschönen Schweißnähte beim Aneinanderfügen der Hohlprofile im Bereich der „Baumäste“ vermieden werden. Und auch wirtschaftlich weiß die Speziallösung mit einem deutlich geringeren Stahlverbrauch zu punkten.
Bauliche Herausforderungen
In unmittelbarer Nähe des dicht verbauten Stadtzentrums, auf einem unter Denkmalschutz stehenden Grundstück im Innenhof zwischen zwei historisch wertvollen Gebäuden in luftiger Höhe eine doppelt gekrümmte DachkonstrukÂtion zu errichten, stellte nicht nur die Planer, sondern in erster Linie auch die ausführenden Unternehmen vor gewaltige Herausforderungen. So flossen in die Planung der einzelnen Dachsegmente nicht nur gestalterische, sondern auch logistische und transport- sowie krantechnische Ãœberlegungen mit ein. Eingehende Studien zur optimalen Größe der Glasscheiben beeinflussten die Stückzahl, den Abstand sowie die Dicke der einzelnen Glaselemente.
Ãœber 900 dreieckige Glaspaneele bilden das neue Dach, das Ästhetik und Funktionalität vereint. Zum Einsatz kam das Sonnenschutzglas Climaplus Cool-Lite Xtreme, das dank seiner hervorragenden Isolierung eine Ãœberhitzung der Innenräume vermeidet, dabei aber gleichzeitig viel Licht hindurchlässt und so eine lichtdurchflutete Atmosphäre schafft. Zusätzlichen Sonnenschutz und Blendfreiheit im Innenraum bieten die in Siebdrucktechnik auf das Glas aufgebrachten kleinen weißen Punkte. An der rund 600 Quadratmeter umfassenden Fassade wurde ebenfalls hochselektives Sonnenschutzglas – allerdings ohne Siebbedruckung – verwendet, um die klare Sicht auf die dahinterliegenden Bestandsfassaden nicht zu beeinträchtigen. Â
Die Baumstützen wurden so konstruiert, dass sie unmittelbar nach dem Aufstellen freitragend sind. So konnten temporäre Sicherungsmaßnahmen entfallen und die Arbeiten vor Ort auf der Baustelle minimiert werden. Um auch die Anzahl der Einzelteile auf der Baustelle sowie die anfallenden Schweißarbeiten zu reduzieren, wurde das Dach zudem in Einzelteilen in der Werkshalle vorgefertigt. Die einzelnen Dachelemente sind über Knotenpunkte aus dickem Stahlblech miteinander verbunden. Um die optimale Passform sicherzustellen wurden die einzelnen Knoten mittels Laserschnitttechnik millimetergenau gefertigt.Â
Preisgekrönt
Sowohl die Architektur als auch die hochÂkomÂplexen technischen Lösungen bei der baulichen Umsetzung des Heartspace überzeugten die Jury bei der Wahl zum Sieger in der Kategorie „Hochbau“ beim diesjährigen Österreichischen Stahlbaupreis. „Das Projekt ist ein ausgezeichneÂtes Beispiel für Bauen im historischen Bestand mit Stahl und Glas als konträre Materialien zu Ziegel und Stein. Durch die leichte und großzügige Stahlkonstruktion entstand ein neues Raumgefüge, welches aufgrund seiner Transparenz und Leichtigkeit zugleich als Innen- wie Außenraum wahrgenommen wird. Die stahlbautechnischen Details zeugen von hoher Planungs- und Fertigungskompetenz und bilden gemeinsam mit den sauber gelösten Anschlüssen an den Altbau ein einheitliches Ganzes“, heißt es in der abschließenden JuryÂ-Begründung.
Zitat:
„Das Projekt ist ein ausgezeichnetes Beispiel für Bauen im historischen Bestand mit Stahl und Glas als konträre Materialien zu Ziegel und Stein.“
Jury-Begründung beim Österreichischen Stahlbaupreis 2021Â
FAKTEN:
Heartspace – University of Sheffield
Vereinigtes Königreich
Bauherr:Â University of Sheffield, Sheffield/United Kingdom
Architektur: Bond Bryan Ltd., London, Sheffield, Westerham, Birmingham/United Kingdom
Glasverarbeiter – Dach: Saint-Gobain Glassolutions Austria/Eckelt Glas, Steyr
Glasverarbeiter – Eingangsfassade: Saint-Gobain Glassolutions Objektcenter Radeburg/Deutschland
Stahlbaukonstruktion:Â Wagner Biro, WienÂ
Nutzfläche Einbauten:  12.500 m2
Dachfläche: 1.370 m2
Baubeginn: Mai 2017
Fertigstellung: Frühjahr 2020
Auszeichnung: Österreichischer Stahlbaupreis, Kategorie Hochbau     Â