Trend Baugruppen: Zusammen baut man weniger alleine

  • Seestadt Aspern
    Seestadt Aspern
    Jaspern – die einzige Baugruppe in der Seestadt Aspern, die als Eigentümermodell errichtet wurde. Architektur: pos Architekten© Markus Kaiser
  • Sargfabrik in Wien-Penzing
    Sargfabrik in Wien-Penzing
    Die Sargfabrik in Wien-Penzing ist mit knapp 100 Wohneinheiten das bislang größte Baugruppenprojekt Österreichs und hat mit seinen öffentlichen Bereichen, den Veranstaltungen und seinem Kulturprogramm maßgeblich zur Aufwertung des Grätzels beigetragen. Architektur: BKK3 Architekten© Wolfgang Zeiner
  • BROT-Haus-Frontansicht Aspern
    BROT-Haus-Frontansicht Aspern
    Mehr als 20 Jahre nach der Errichtung des ersten Baugruppen-Hauses in Wien Hernals baut der Verein B.R.O.T. in der Seestadt Aspern sein viertes Wohnheim als Baugruppenprojekt. Am Grundgedanken, gemeinsam zu planen, zu bauen, zu entwickeln und in Gemeinschaft zu leben, hat sich seit dem ersten Baugruppenprojekt nichts geändert. Architektur: Franz Kuzmich© Ernst/B.R.O.T. Aspern
  • Familien-, Bildungs- und Gesundheitszentrum
    Familien-, Bildungs- und Gesundheitszentrum
    Das siebengeschoßiges Familien-, Bildungs- und Gesundheitszentrum ist vollständig in Holzbauweise – eine Bauvariante, die für professionelle Investoren lange Zeit undenkbar gewesen wäre und anfangs nur mit (mutigen) Baugruppen realisiert werden konnte. Architektur: Kaden + Klingbeil Architekten.© Bernd Borchardt
  • Begrüntes Treppenhaus
    Begrüntes Treppenhaus
    Qualitätsvolle Architektur und kommunikative Gemeinschaftsbereiche – wie hier im Bild die Stiegenhauszone der Baugruppe E 3 in Berlin – sind Markenzeichen und Besonderheit vieler Baugruppenprojekte. Architektur: Kaden + Klingbeil Architekten.© Bernd Borchardt
  • Berlin – Prenzlauer Berg
    Berlin – Prenzlauer Berg
    Das Baugruppenprojekt E3 ist der erste 7-geschoßige Holzbau in einem großstädtischen Bereich und das erste Baugruppenprojekt, das Architekt Tom Kaden in Berlin realisierte. Architektur: Kaden + Klingbeil Architekten.© Bernd Borchardt
  • Sargfabrik in Wien-Penzing
    Sargfabrik in Wien-Penzing
    © Wolfgang Zeiner

Dahinter steckt der Wunsch nach Leben und Wohnen mit Gleichgesinnten und die Bereitschaft ambitionierter Bauherren und Baufrauen, das Planungs- und Bauzepter selbst in die Hand zu nehmen, um ihre individuellen Vorstellungen von Zusammenleben und Gemeinschaft baulich in die Tat umzusetzen.

Gemeinsam planen, bauen, wohnen und leben ist der Gedanke, der hinter gemeinschaftlichen Wohnbauprojekten steckt. Der Weg dorthin führt über Baugruppen, in denen sich Gleichgesinnte zusammenfinden und gemeinsam ein Mehrfamilienhaus realisieren, das den eigenen Wünschen und individuellen Bedürfnissen ans Wohnen gerecht wird. Geplant wird ganz viel selbst – und mit professioneller Unterstützung durch einen Architekten bzw. eine Architektin. Für diese ist das Planen für oder vielmehr mit einer Baugruppe kein leicht verdientes Brot, wie Tom Kaden, Baugruppen-erfahrener Architekt, Professor für Holzbau an der TU-Graz und seit 10 Jahren selbst Bewohner ­einer Baugruppe in Berlin-Friedrichshagen aus eigener Erfahrung weiß: „Für den Planer sind Baugruppen in aller Regel eine nervliche Zerreißprobe und finanziell nahe an der wirtschaftlichen Katastrophe“, lautet sein Resümee. Das gelte vor allem für die großen Baugruppen mit 50 oder mehr Wohneinheiten, wo dutzende Einzelinteressen aufeinanderprallen, die baulich oft nur schwer unter einen Hut zu bringen sind. Entsprechend hoch ist der Moderations- und Koordinationsaufwand sowie der lange Weg bei Entscheidungsfindungen, da oft über hunderte Mails und Retourmails mit allen Beteiligten abgestimmt werden müssen.

Demgegenüber steht der direkte Kontakt und das unmittelbare Feedback seitens der künftigen Nutzer und Nutzerinnen, wie das sonst im Wohnbaubereich kaum noch zu finden ist. „Wenn man als Architekt oder Architektin heute menschenbezogen arbeiten will, dann sind Baugruppen eine ideale, vielleicht sogar die einzige Alternative zum anonymen Geschoßwohnungsbau von der Stange oder dem Einfamilienhaus, das sich wirtschaftlich für den Planer/die Planerin kaum rechnet und aus ökologischer Sicht, im Hinblick auf den Klimawandel oder den Verbrauch von Bodenressourcen, mehr als fragwürdig ist“, so Architektin und Baugruppen-Expertin Constance Weiser. Im Jahr 2009 hat sie mit engagierten Planern und Baufachleuten die „Initiative Gemeinsam Bauen & Wohnen“ ins Leben gerufen. Dieser Verein hat sich der aktiven Förderung von Baugemeinschaften und gemeinschaftlichen Wohnprojekten verschrieben, unterstützt in Gründung befindliche Baugemeinschaften, informiert in zahlreichen Veranstaltungen sowie auf der Website www.inigbw.at über rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen und fördert den Austausch und den Wissenstransfer zwischen bestehenden, neuen oder gerade in Gründung befindlichen Baugruppen.

Die Idee ist nicht neu …

Hierzulande wurden die ersten Baugemeinschaftsprojekte bereits in den 1980er Jahren realisiert, wie zum Beispiel das generationenüber­greifende Wohnheim in der Geblergasse in Wien-Hernals, errichtet 1988 vom gemeinnützigen christlichen Verein B.R.O.T, dessen Initialen für Beten, Reden, Offensein, Teilen stehen und die gedankliche Richtung des Wohnens in Gemeinschaft widerspiegeln. Geteilt werden im B.R.O.T.-Haus nicht nur der rund 1.500 Quadrat­meter große Garten, sondern auch die knapp 600 Quadratmeter umfassenden Gemeinschaftsräume, inklusive Kapelle und Turnsaal. Zusätzlich zu den 16 Wohnungen der Baugruppenmitglieder stehen auch vier Wohnungen der Gemeinschaft  im Haus zur Verfügung.  

Zu den prominentesten Gemeinschaftsprojekten in Österreich zählt die Sargfabrik in Wien-Penzing. Mit rund 100 Bewohnern ist sie bislang österreichweit auch der größte Vertreter gemeinschaftlichen Bauens – mit internationalem Vorbildcharakter. Geplant und errichtet wurde die Sargfabrik in Wien-Penzing zwischen 1994 und 1996 vom „Verein für integrative Lebensplanung“. Weit über seine Wohnhausgrenzen hinaus bekannt ist die Sargfabrik nicht nur aufgrund ihrer leuchtend orangefarbenen Fassaden, sondern vor allem für ihr umfangreiches Kulturprogramm im hauseigenen Veranstaltungssaal, der gleich neben dem zweigeschoßigen öffentlichen Café am Hauptzugang zu den Wohnungen liegt. Innerhalb kürzester Zeit hat sich die Sargfabrik vom auffällig andersartigen Wohnprojekt zu einem Dreh- und Angelpunkt für das kulturelle Leben im Bezirk entwickelt und damit nachhaltig zu einer Aufwertung des gesamten (Wohn)Umfeldes beigetragen. 

Ein Blick über den Bauzaun

Trotz des vielbeachteten und umfangreich publizierten Starts, wurde es nach den ersten erfolgreichen Projekten schnell wieder still um die heimische Baugemeinschaftsszene. Einen Grund dafür ortet Tom Kaden in der sehr erfolgreichen Praxis des sozialen Wohnbaus hierzulande – „da gab es möglicherweise einfach auch gar nicht so sehr den Bedarf an alternativen Bau- und Wohnkonzepten“, so Kaden.

Anders in Deutschland, wo das Bauen als Gruppe aus der Hausbesetzerszene und der Studentenbewegung heraus entstanden ist und auf eine viel längere Tradition und eine wesentlich dynamischere Entwicklung zurückblicken kann. Heute unterstützen viele Städte das Bauen als Gruppe – wie Tübingen oder Freiburg, wo die ersten Baugruppenprojekte im Sinne einer strategischen Planung der Stadt der kurzen Wege entstanden sind. „In Deutschland haben die Städte schon viel früher das Potential von Baugruppen für die Stadtentwicklung erkannt“, ist Constance Weiser überzeugt. „Denn Gemeinschaftsprojekte wie die Sargfabrik haben nachweislich einen positiven Effekt auf den ganzen Bezirk“, so Weiser weiter. Gleichzeitig sieht die Architektin und Baugruppen-Expertin auch einen wesentlichen Unterschied: „Während sich in Deutschland gerade bei den jüngeren Baugruppenmodellen der Gemeinschaftsgedanke eher auf die gemeinsame Schaffung von Wohnraum beschränkt, steht in Österreich nach wie vor die Idee des Miteinanderlebens im Vordergrund.“ Eine Einschätzung, die auch Tom Kaden teilt und mit ein Grund dafür, warum er sich im Jahr 2006 – als er zum ersten Mal für eine Baugruppe planen sollte – in Österreich umgesehen hat und unter anderem auch die Sargfabrik besuchte.

Mut zum architektonischen Experiment

Das erste Baugruppenprojekt, das Kaden plante, war ein 7-geschoßiger Holzbau in Berlin. „Die Idee in Holz zu bauen kam aus der Gruppe. So etwas war damals nur mit einer Baugruppe möglich, ein konventioneller Investor hätte das nie gemacht. Da war die Innovationsbereitschaft aufseiten der Baugruppe deutlich höher“, ist Kaden überzeugt.

Viele realisierte Baugruppenprojekte später konstatiert er den deutschen Baugruppen immer noch den Mut zum architektonischen Experiment sowie den Wunsch und die Bereitschaft qualitätvolle Architektur zu schaffen. Weniger optimistisch seine Einschätzung in Hinblick auf den Gemeinschaftsgedanken: „Irgendwann hat sich auch in die Baugruppen der neoliberale Wohnungsmarkt eingeschlichen. Heute stehen beim Bauen als Gruppe immer öfter vorrangig wirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund. Man hat erkannt, dass sich der Wohnungsmarkt in den meisten Städten verschärft und für zunehmend mehr Menschen führt der Weg zum individuellen Wohnraum über eine Baugruppe. Es geht mehr ums Eigentum als um die Gemeinschaft.“ Weshalb sich sein Büro Kaden+Lager auch zunehmend aus der Planung für Baugruppen zurückzieht und in Zukunft lieber anderen Bauaufgaben zuwendet.    

Baugemeinschaften als Pioniere der Stadtentwicklung

Zurück nach Österreich: Auch hier hat die Stadtbaupolitik mittlerweile den architektonischen und städtebaulichen Mehrwert erkannt, den Baugruppen leisten können. „Man hat verstanden, dass die Stadtentwicklung mit entsprechend engagierten Pionieren besser gelingt. Die Initiatoren von Baugruppen wollen besser leben und tun etwas für die Gemeinschaft im eigenen Haus und im Umfeld“, erklärt Constance Weiser. Im Zuge der Entwicklung der Seestadt Aspern – dem österreichweit größten Stadtentwicklungsprojekt der vergangenen Jahrzehnte – wurden seitens der Wien 3420 Aspern Developement AG auch Baugruppen eingeladen. Insgesamt sechs Gemeinschaftsprojekte  mit unterschiedlichen Schwerpunkten wurden in der ersten Bauphase realisiert. Und auch für die Bauphasen 2 und 3 sind weitere Baugruppen als fixer Bestandteil bereits in der Planung. Der Hintergrund dafür ist der Wunsch seitens der Entwicklungs AG nach einer diversen und eher kleinstrukturierten Bebauung im neuen Stadtteil. „Und dafür sind Baugruppen prädestiniert, weil nicht hunderte Wohnungen aus einem Guss entstehen, sondern schon aufgrund der Mitgliederzahl kleinteiliger und individueller gebaut wird. Das trägt wesentlich zur stadträumlichen Qualität bei“, erläutert Weiser. Um die 35 bis 45 Wohneinheiten umfasst in Österreich im Schnitt ein Gemeinschaftsprojekt. Eine Größe, die erfahrungsgemäß gut funktioniert. „Darüber wird es mitunter schwierig, Gleichgesinnte mit denselben Interessen zu finden, und auch der organisatorische und planerische Aufwand im Entwurfsprozess steigt dann für den Planer oder die Planerin exponentiell an.“      

Wohnen im Heim?

Viele Gemeinschaftsprojekte in Österreich wählen als Rechtsform die eines Wohnheims, wie auch in der Seestadt Aspern, wo sich von sechs lediglich eine – die Baugruppe JAspern – für ein Eigentumsmodell entschieden hat. In Deutschland überwiegt beispielsweise das Eigentumsmodell. Beide Rechtsformen haben ihre Vor- und Nachteile. „Das Heimmodell ist eine typisch österreichische Lösung“, meint Weiser. Dabei ist die Gruppe als Verein Eigentümerin und vermietet an die Mitglieder der Baugruppe. Zu den Vorteilen zählt Weiser einerseits die Tatsache, dass die Mieter/innen gleichzeitig Eigentümer/innen der gesamten Liegenschaft sind, aber nicht Eigentümer/innen einzelner Wohnungen. Alle Entscheidungen müssen in der Gemeinschaft getroffen werden, wie zum Beispiel in Bezug auf Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten oder auch was die Vermietung freier Wohnungen betrifft. Alleingänge einzelner Eigentümer sind nicht möglich. Auch in Bezug auf Förderung bietet das Heimmodell Vorteile, weil hier Gemeinschaftsflächen besser gefördert werden als bei allen anderen Rechtsformen und der Verein trotzdem das Recht behält, selbst seine Mieter auszuwählen. Im Unterschied zum geförderten Wohnbau über einen Bauträger, wo die Stadt die Errichtung von einem Drittel an sogenannten Angebotswohnungen verlangt, die dann über das Wohnservice Wien vergeben werden – ohne Möglichkeit der Einflussnahme seitens der Baugruppe. Der größte Nachteil bei der Heimform sind die höheren baurechtlichen Auflagen – zum Beispiel in Hinblick auf den Brandschutz. Das macht das

Bauen für Heime wesentlich teurer

Eine weitere Rechtsform ist das Mietmodell. Dabei errichtet ein Bauträger das Gebäude, die Baugruppe als zukünftige Mieterin hat gewisse Mitsprache- und Entscheidungsrechte bei der Planung. „Das Mitspracherecht der Baugruppe ist aber sehr eingeschränkt und die Gruppe gegenüber dem Bauträger immer in der schwächeren Position“, ist Weiser nicht so überzeugt. Bleibt noch das in Deutschland sehr erfolgreiche Eigentümermodell, das für Weiser wenig für eine Baugruppe geeignet scheint, denn „Eigentumsrecht sticht immer Gemeinschaftsrecht. Wenn sich ein Eigentümer querlegt, kann er alle Entscheidungen der Gruppe blockieren, das ist nicht gruppen- oder gemeinschaftsförderlich. Daran sind schon einige ältere Baugruppen zerbrochen,“ so Weiser.

Eine Einschätzung die auch Tom Kaden teilt und aus seiner eigenen Baugruppe bestätigen kann: „Für viele, die lange nach der Errichtung neu in eine Baugruppe kommen, geht es vorrangig ums Eigentum und nicht um die Gemeinschaft. Wenn wie im Eigentumsmodell jede/r Eigentümer/in seiner Wohnung ist, hat die Gruppe kein Mietspracherecht bei der Wohnungsvergabe und keinen Einfluss darauf, ob jemand in die Gruppe passt oder deren Interessen teilt.“ Deshalb tüftelt die Expertengruppe rund um Constance Weiser und die Initiative Gemeinsam Bauen & Wohnen an einer ganz neuen Rechtsform, die endlich der Baugruppen-Realität gerecht wird.

Aber das ist noch ein längerer Weg. Und vielleicht gibt es eine Entscheidung, wenn Tom Kaden das nächste Mal „rückfällig“ wird und für seine erste Baugruppe in Österreich baut, denn hierzulande würde er es nach eigenen Angaben dann doch gerne auch nochmal probieren, in Gemeinschaft zu planen und zu bauen.             

 

Zitate:

„Baugruppen sind eine gut geeignete Möglichkeit unter Umgehung eines Investors selbstbestimmt und wesentlich freier zu bauen.“
Tom Kaden, Architekt und Prof. an der TU-Graz     

 „Wenn man als Architekt oder Architektin heute menschenbezogen arbeiten will, dann sind Baugemeinschaften eine ideale, vielleicht sogar die einzige Alternative.“ Constance Weiser, Architektin und Obfrau der Initiative Gemeinsam Bauen & Wohnen Â