Wie Architektur den Planeten retten kann
Im Jahrhundert, in dem der Klimawandel zu den größten globalen Herausforderungen für die Menschheit geworden ist. Aber welche Rolle spielt das Planen und Bauen dabei? Ist Architektur Teil des Problems oder Teil der Lösung? Was Architektur tun kann und worauf es in Zeiten des Klimawandels beim Planen und Bauen wirklich ankommt.
„Heute sind Architektur und Städtebau kapitalzentriert, spekulationsgetrieben und investitionsgeprägt. Viele können sich keinen Wohnraum mehr leisten. Sparmaßnahmen haben die öffentlichen Infrastrukturen katastrophal belastet. Die Klimakrise hat den Planeten verwundbar, in weiten Bereichen fast unbewohnbar gemacht.“ Was sich wie der Einstieg in einen Science-Fiction-Roman liest, ist in Wahrheit eine düster kritische Bestandsaufnahme zum besorgniserregenden Zustand des Planeten und die Einleitung zum Architektur-Fachbuch „Critical Care – Architecture and Urbanism for a Broken Planet“. Angelika Fitz, Direktorin des Architekturzentrums Wien (AZW), und Elke Krasny, Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, sind die Autorinnen des Buches und ihres Zeichens auch Kuratorinnen der gleichnamigen Ausstellung „Critical Care – Architektur für einen Planeten in der Krise“, die bis Anfang September im AZW zu sehen war. Buch und Ausstellung sind ein Plädoyer für eine neue Haltung beim Planen und Bauen – für eine Architektur und eine städtebauliche Entwicklung des Sorgetragens. Denn die Lage ist mehr als kritisch! Und ja, Architektur und Urbanismus sind in die Krise verstrickt! Sie könnten aber auch Teil der Lösung sein. 21 Beispiele dafür, dass sich Architektur und Stadtentwicklung nicht dem Diktat des Kapitals unterwerfen und auf der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen beruhen müssen, haben Fitz und Krasny zusammengetragen.
 Pflegeberuf: Architekt/in?
„Architektur und Urbanismus sind zutiefst verstrickt in jene Mechanismen, Strukturen, Bedingungen, die dazu geführt haben, dass es dem Planeten so schlecht geht. Auf der anderen Seite ist Architektur – obwohl Architekten/Architektinnen und Urbanisten/Urbanistinnen nicht in die Reihe der Pflegeberufe einzuordnen sind – seit jeher damit befasst Schutz vor Klimabedingungen, vor Unwettern – also Behausungen und Unterkünfte – zu liefern, die es dem Menschen ermöglichen, gut auf diesem Planeten zu leben“, erklärt Elke Krasny.
Doch dieses gute (Zusammen)Leben scheint angesichts der Krisen, mit denen sich Architektur und Urbanismus konfrontiert sehen, bedroht: Knapper werdende Bodenressourcen, spekulativer Bodenverbrauch, schrumpfende öffentliche Räume – bedroht von Sparpolitik und Privatisierung. „Es geht in der Architektur aber auch um den Umgang mit dem Bestand der Moderne. In ganz Europa und weit darüber hinaus gibt es einen riesigen Gebäudebestand aus den 1960er und 70er Jahren, der vielerorts abgerissen wird“, so Fitz. Critical Care zeigt exemplarisch einen zur tonnenweisen Sondermüllproduktion alternativen Umgang mit dem in die Jahre gekommenen Baubestand am Beispiel eines sozialen Wohnbaus in Bordeaux, wo 530 Wohneinheiten vom französischen Architektenteam Lacaton & Vassal, Frédéric Druot und Christoph Hutin grundlegend erneuert und umfassend saniert wurden. Und zwar so, dass sie vor die Fassade Wintergärten samt Freiräumen gestellt haben. Damit konnte die Wohnfläche nahezu verdoppelt und die Energieeffizienz maximal gesteigert werden – „und zwar ganz ohne Sondermüll an der Gebäudehülle“, wie Fitz betont.
Aus China zeigen die Kuratorinnen ein Projekt für erdbebensichere und nachhaltige Dorfentwicklung, in Bangladesch und Pakistan fanden sie bauliche Maßnahmen zum Überschwemmungsschutz durch CO2-arme Bautechniken. Historische Bewässerungssysteme in Spanien sowie neue Konzepte zur Nutzung des öffentlichen Raumes und durchmischte Stadtquartiere in Wien, London oder Nairobi beweisen, dass die Problemstellungen ebenso wie die Lösungsansätze rund um den Globus vergleichbar sind. Allen ausgewählten Vorzeigeprojekten gemein ist eine neue Beziehung zwischen Ökonomie, Ökologie und Arbeit, die vom gegenseitigen Sorgetragen geprägt ist.
Der Ernst der LageÂ
Die Mehrheit der Menschen lebt schon heute in Städten, bis zum Jahr 2050 soll der Anteil der Stadtbevölkerung auf 70 Prozent steigen. Damit einher geht eine Verdoppelung des Baubestandes bis zum Jahr 2060. Schon jetzt sind der Gebäudebestand sowie die Bauprodukteproduktion für 39 Prozent aller CO2-Emissionen weltweit verantwortlich. Das geht aus den aktuellen Zahlen und Prognosen des „Global Status Reports“ des World Green Building Council hervor, der Anfang September in London präsentiert wurde.
„Der Bausektor besitzt ein enormes Einsparungspotential und kann einen wesentlichen Beitrag leisten die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken“, ist Mark Watts, Geschäftsführer von C40 – Cities Climate Leadership Group, überzeugt. Die C40 sind ein globales Netzwerk von über 80 Großstädten, die sich für den gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel zusammengeschlossen haben und sich zum Ziel gesetzt haben andere Großstädte bei der Vorbereitung und Umsetzung von nachhaltigen, kohlenstoffarmen Projekten ebenso aber auch bei der notwendigen Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. „Da der Bausektor für einen so großen Teil der globalen Emissionen verantwortlich ist, verfügt er auch über ein enormes Reduktionspotential. Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Wandel liegt in der nationalen und internationalen Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Sektoren und Organisationen. Als C40 freuen wir uns darauf, Städte bei diesem Wandel zu unterstützen“, so Watts weiter.Â
Wachsende Herausforderungen
Laut Global Status Report ist der Weg noch weit und es wird gehöriger Anstrengungen bedürfen, den globalen Fußabdruck des Gebäude- und Bausektors mit den internationalen Vereinbarungen in Einklang zu bringen. Die gute Nachricht: Die Autoren des Reports gehen davon aus, dass die Emissionen von Gebäuden und Bauwerken in den vergangenen Jahren ihren Höhepunkt erreicht haben (könnten). Grund dafür sind Effizienzsteigerungen bei Heizung, Beleuchtung, Kochen sowie Büros und Wohnungen, die weltweit immer mehr mit sauberen Energien und alternativen Technologien betrieben werden. Zu diesem Schluss kommen die Experten der Internationalen Energieagentur als Mitautoren der Studie. Fatih Birol, Geschäftsführer der Internationalen Energieagentur, warnt gleichzeitig aber auch vor der zunehmenden Nutzung von Klimaanlagen in allen Gebäudetypen, vor allem vor dem Hintergrund des rasanten Städtewachstums, welches das Ziel einer 30-prozentigen Senkung des Energieverbrauchs bis 2030 ins Wanken bringen kann. Alleine seit 2010 ist der Energieverbrauch für Raumkühlung um 25 Prozent gestiegen, weltweit existieren über 1,6 Milliarden Klimaanlagen und zwar nicht in den heißesten Ländern der Welt: Nur 8 Prozent der 2,8 Milliarden Menschen, die in Orten mit durchschnittlichen Tagestemperaturen über 25 Grad leben, verfügen über eine Klimaanlage.
Die Erhöhung der Sanierungsrate, der sorgsame Umgang mit Grund und Boden, die gegenseitige internationale Unterstützung, die ressourcensparsame und energieeffiziente Weiterentwicklung der (Bau)Produktion und das Sorgetragen für den öffentlichen Raum – das sind im Sinne von Critical Care die wesentlichen Schlüsselfaktoren, die Architektur und Urbanismus zur Erhaltung des Planeten für die Menschen beitragen können.    Â