An einem Strang ziehen ist die Devise
Der konsensorientierte Manager tritt dafür ein, alle ins Boot zu holen, um an das gemeinsame Ziel zu kommen: die Politik, die Industrie, die Architekten, die Verarbeiter und die Verbraucher. Nur so kann Nachhaltigkeit von einem Lippenbekenntnis zu einer echten Chance werden.
Von Barbara Jahn
Weiss: Der Nachhaltigkeitsbegriff hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt: vom hübschen Werbemascherl zum ernsthaften Unterfangen. Was versteht die IG Lebenszyklus Bau unter Nachhaltigkeit?
Karl Friedl: Nachhaltigkeit ist ein Begriff der ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammt und beschreibt, dass man nicht mehr ernten darf als nachwächst. Grundsätzlich teilt sich der Nachhaltigkeitsbegriff in drei Aspekte: soziale Nachhaltigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Nur, wenn es zu einer Balance dieser drei Nachhaltigkeitsziele kommt, können Nachhaltigkeitsbestrebungen erfolgreich sein.      Â
Weiss: Wie nachhaltig muss Bauen sein? Oder anders gefragt: Kann Bauen überhaupt wirklich nachhaltig sein?
Karl Friedl: Unsere Welt ist durch unser nicht-nachhaltiges Wirtschaften (und da gehört Bauen dazu) überstrapaziert. Wir nutzen drei Mal so Âviele Ressourcen, als die Welt regenerieren kann, und blasen CO2-Emissionen in die Atmosphäre, welche die Welt aus dem Gleichgewicht bringen. Bauen hat dabei, sowohl was den Flächenverbrauch als auch den Ressourcen- und CO2-Ausstoß betrifft, einen hohen Anteil. Deshalb sind wir aufgefordert, folgende Optimierungspotentiale zu nutzen: Zum einen sollten wir nur so viel bauen, wie wir wirklich benötigen. Gleichzeitig sollten wir den Raum über Generationen hinweg nutzen – gerade Österreich hat bei Gründerzeithäusern eine große Tradition, dass in einem GebäudeÂlebenszyklus viele Nutzungszyklen erreicht werden. Vor allem aber sollten wir Gebäude als Energieerzeuger denken. Energieverbräuche sollten minimiert werden und jedes Gebäude sollte autark regenerative Energien erzeugen, welche es selbst und seine Nutzer*innen benötigt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Gebäude als Teil der Werkstoffkette konstruiert werden müssen. Wir konstruieren Gebäude, welche Baustoffe mit unterschiedlichen Lebensdauern fest verbinden. Die Konstruktion von Gebäuden muss in Zukunft eine Erneuerung von Bauteilen mit unterschiedlicher Lebensdauer zerstörungsfrei ermöglichen. Baustoffe müssen nach ihrem Einsatz wieder recycelt und wiederverwendet werden können. Und schließlich die Mobilität: Objekte müssen im Zusammenhang mit ihrem Standort gedacht werden. Oft erzeugt der durch Gebäude ausgelöste Verkehr größere Emissionen als das Gebäude selbst.Â
Weiss: Wie sehr unterscheidet sich diese Begriffsdefinition von der derzeit gängigen Praxis?
Karl Friedl: Die Immobilienbranche ist derzeit mit einer Nachhaltigkeitsoffensive insbesondere aus der Finanzierung konfrontiert. Die EU-Taxonomie sorgt dafür, dass nur noch nachhaltige Projekte finanziert werden. Meiner Überzeugung nach werden solche gesetzlichen Regulative, welche dann auch monetäre Auswirkungen haben (teurere Finanzierung für nicht-nachhaltige Projekte), zu einem neuen Qualitätsbewusstsein in der Branche führen.
Weiss: Was muss getan werden? Wer kann beitragen?   Â
Karl Friedl: Das Bewusstsein, dass Nachhaltigkeit und insbesondere ökologische Nachhaltigkeit etwas mit Bauen zu tun hat, beginnt bei den Nutzer*innen und Bauherr*innen. Wenn die Nachfrage nach besseren Projekten im ökologischen Sinn steigt, wird auch das Angebot steigen. Wenn nicht-ökologisches Handeln zu Teuerung führt (CO2-Steuer, Recycling-Abgaben etc.) wird Nachhaltigkeit wettbewerbsfähig.
Weiss: Wird Ihrer Meinung nach schon genug getan? Was fehlt? Â
Karl Friedl: Die angesprochenen Regulative werden zu langsam umgesetzt. Die Bewusstseinsbildung bei Nutzer*innen und Bauherr*innen geht zu schleppend voran. Wir brauchen eine Kampagne, welche von der Umweltpolitik Klima- und Nachhaltigkeitszielsetzungen mit GebäudeÂthemen in Verbindung bringt.
Weiss: Welche Rahmenbedingungen muss die Politik schaffen?
Karl Friedl: Es braucht auf jeden Fall gesetzliche Regulative für die oben angesprochenen Hebel.
Weiss: Wie sieht es in der heimischen Bauwirtschaft mit dem Recycling beziehungsweise dem Reuse von Bauabfällen am Ende des Lebenszyklus eines Gebäudes aus?    Â
Karl Friedl: Die Bauwirtschaft geht, wie die gesamte Wirtschaft, immer den für sie kostengünstigsten Weg. Idealismus und eine Reorganisation von Bauprozessen und Planungskonzepten werden flächendeckend erst dann funktionieren, wenn Kostenwahrheit hergestellt ist. Die Konzepte zu Recycling und Reuse sind da, der Umsetzungsdruck ist noch zu klein.
Weiss: Was muss getan werden, respektive wie muss in Zukunft gebaut oder saniert oder modernisiert werden, damit der Anteil von Recycling und Reuse erhöht werden kann?   Â
Karl Friedl: In Zukunft sollte eine Revitalisierung von Gebäuden vor Abbruch und Neubau geprüft werden müssen. Der Rohbau eines Gebäudes verbraucht eine riesige Menge an Energie und verursacht demnach auch eine große Menge an CO2 (80 Prozent der grauen Energie eines Gebäudes liegt im Beton). Der Anteil an Vorfertigungsgrad sowohl im Betonbau als auch im Holzbau sollte erhöht werden. Die Konstruktion von Gebäuden muss Recycling und Reuse schon vordenken.
Weiss: Nehmen wir die Stichworte Rücknahme, Trennung, Wiederverwertung: Muss man die Baustoffhersteller stärker in die Pflicht nehmen?
Karl Friedl: Ja, das beginnt bereits bei der Kennzeichnungspflicht. Herkunft und Inhaltsstoffe müssen deklariert werden. In Zukunft sollte das in einer digitalen Datenbank gespeichert werden, welche dann zu einem digitalen Gebäudepass bis zum Lebensende eines Gebäudes transparent verfügbar bleibt. In anderen Branchen ist dies bereits selbstverständlich.
Weiss: Was braucht es dafür vonseiten der Planer:innen und Architekt:innen?
Karl Friedl: Planer:innen und Architekt:innen sind für die Konstruktion eines Gebäudes verantwortlich. Ein integrales Denken und eine digitale Modellierung von Gebäuden ist für die bessere Recycling- und Reuse-Quote essenziell. Es ist darüber hinaus eine bessere Zusammenarbeit zwischen Planer*innen, Ingenieur*innen und Ausführenden erforderlich. Verträge sowohl im Bereich der Planer*innen als auch der Realisierungsunternehmen müssen zu einer ganzheitlichen Verantwortung führen. Gewerkspezifisches Denken ist für eine OptiÂmierung des Gesamtgebäudesystems kontraproduktiv.
Weiss: Wie kann die ausführende Bauwirtschaft dazu beitragen?
Karl Friedl: Dies beginnt bei der Bewusstseinsbildung, dass Gebäude Umweltschäden verursachen. Erst wer erkennt, dass bessere Qualität im Sinne der Umwelt (im Idealfall weniger schädlich, sondern nützlich) auch zu wirtschaftlichen Erfolgen führt, wird sein Handeln verändern. Erinnern wir uns an den Weinskandal, der eine ganze Branche zu deutlich besserer Qualität und auch zu deutlich besseren Erfolgen geführt hat.
Weiss: Mit welchem Appell würden Sie versuchen, die Baubranche insgesamt zu mehr Verantwortung zu animieren?
Karl Friedl: Die Umwelt- und Klimakrise ist nicht wegzuleugnen, die Bauindustrie hat dabei als Verursacherin von Emissionen und Verbraucherin von Ressourcen einen großen Anteil. Nehmen wir die Krise als Chance, um radikale Veränderungen in der Konstruktion und Langlebigkeit von Gebäuden zu erreichen, und sichern wir damit auch zukünftig bessere wirtschaftliche ÂErfolge.                                                          Â
Person:
Mag. Karl Friedl
- seit 1992 bei M.O.O.CON
- seit 2000 Dozent zum Thema facilitäre Planung an verschiedenen Fachhochschulen
- Projektleiter einer Vielzahl von komplexen Neubau- und Sanierungsprojekten im In- und Ausland
- mehr als 20 Fachveröffentlichungen zu den Themen Bauherrenberatung und Facility Management in österreichischen und deutschen Fachmagazinen
M.O.O.CON
Wipplingerstraße 12/2, 1010 Wien