Gebäude von heute sind die Materiallager von morgen

  • Petra Schramm von HMA Architektur ZT GmbH
    Petra Schramm von HMA Architektur ZT GmbH
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  • Zukunftsorientierter Bürostandort in unmittelbarer Nachbarschaft von Forschungsinstitut und TU-Wien:
    Zukunftsorientierter Bürostandort in unmittelbarer Nachbarschaft von Forschungsinstitut und TU-Wien:
    Das bestehende Gebäude war aufgrund zu geringer Raumhöhen nicht als Bürogebäude nutzbar. Im Sinne von Cradle-to-Cradle ist das Recycling des Abbruchmaterials vor Ort und dessen Nutzung für die neuen Fassadenelemente vorgesehen. Im Fokus des Entwurfes standen Nachhaltigkeit und das Wohlbefinden des Benutzers. Ersteres erzielte man durch einen flexiblen Grundrissraster, welcher sich von der Tiefgarage bis zum Dachgeschoss spannt und somit dem Mieter eine nutzungsoffene Bespielung der Grundrissaufteilung bietet. Ausreichend PV-Module am Dach versorgen die Solewasser-Wärmepumpe und machen das gesamte Bürogebäude energieautark.© HMA Architektur ZT GmbH

Der Bausektor verbraucht knapp 50 Prozent aller weltweiten Ressourcen, ist für über ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich und produziert rund die Hälfte des globalen Müllaufkommens. Die konsequente Umsetzung der Kreislaufwirtschaft in der Bauproduktion könnte eine Trendwende einleiten. Aber wie gehen Architekturschaffende mit der Thematik um? Welchen Beitrag können sie leisten und wie funktioniert Kreislaufwirtschaft in der täglichen Planungspraxis? Im Interview mit Tom Cervinka spricht Architektin Petra Schramm vom Wiener Büro HMA über Möglichkeiten und Chancen der Kreislaufwirtschaft beim Planen und Bauen. 

Weiss: Kreislaufwirtschaft liegt aktuell voll im Trend – auf EU-Ebene, aber auch unser Klimaschutzministerium arbeitet an Richtlinien bzw. bereitet ein White Paper dazu vor. Politisch verordnet, nachfragegetrieben, von Architekten angestoßen, gesellschaftlich gefordert oder (bald) politisch verordnet – woher kommt das Thema denn eigentlich?

Petra Schramm: Ja! – Es ist ein bisschen was von alledem. Es gibt seit 2015 das Pariser Klimaabkommen, es gibt die 17 Goals of Sustainability – sehr viel davon betrifft direkt oder indirekt die Baubranche. Unter anderem, dass wir die Emissionen reduzieren müssen. Damit sind die politischen Ziele ja schon mal gesetzt. Der nächste Schritt ist, darüber nachzudenken, wo man ansetzen kann. Und die Architekten können maßgeblich dazu beitragen, schon in der Planungsphase auf diese Themen einzugehen. Aus diesen politischen Vorgaben sind letztendlich auch die Zertifizierungssysteme hervorgegangen. Und die Projektentwickler versuchen diese zu erreichen, weil Nachhaltigkeitszertifikate die Vermarktung erleichtern. Denn auf der anderen Seite ist der gesellschaftliche Druck „saubere“ Gebäude zu errichten heute wesentlich höher. Und um den Kreis zu schließen: Die Politik bzw. die Gesetzgebung reagiert natürlich ihrerseits wiederum auf gesellschaftliche Entwicklungen und gießt diese in Richtlinien, Gesetze, Verordnungen etc.          

Weiss: Was ist Ihr persönlicher Zugang zu den Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft? Warum beschäftigen Sie sich mit der Thematik?

Petra Schramm: Ich denke unser Klima zeigt uns sehr deutlich, dass wir nicht mehr so sorglos mit den Ressourcen der Erde umgehen können wie bisher. Zudem ist die Bauwirtschaft weltweit ­einer der größten Wirtschaftssektoren und einer der größten Ressourcenkonsumenten. Ich sehe die Architektur hier in der Verantwortung, einen Beitrag gegen den Klimawandel zu leisten und Lösungen für einen effizienteren Umgang mit Ressourcen aufzuzeigen. Die Kreislaufwirtschaft bietet dabei eine gute Möglichkeit. Wir müssen endlich anfangen den Gebäudebestand als Materiallager zu verstehen, auf das man nach Ende der Nutzungsphase wieder zugreifen kann. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Bau einer der größten Abfallverursacher ist. Das heißt, das, was wir heute bauen, ist der Abfall von morgen – oder im Sinne der Kreislaufwirtschaft die Rohstoffe von morgen. Es liegt ganz an uns, was wir daraus machen. Aber dafür braucht es jetzt eine Planung, die das Lebensende eines Gebäudes mitdenkt.   

Weiss: Seit wann beschäftigen sich HMA Architekten mit den Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft?

Petra Schramm: Nachhaltigkeit ist bei uns von jeher ein wichtiger Planungsparameter. Mit Kreislaufwirtschaft beschäftigen wir uns intensiver seit rund zwei Jahren. Ich habe damals einen Cradle-to-Cradle-Workshop der ÖGNI besucht und bin seitdem immer an dem Thema drangeblieben, nach und nach versuchen wir Kreislaufwirtschaft immer mehr in unsere Planungen einfließen zu lassen – unlängst erst bei einem Wettbewerb, wo das auch dezidiert gefordert war. Das Thema ist also ganz sicher im Kommen.

Weiss: Im Gegensatz zur Nachhaltigkeit steckt die Kreislaufwirtschaft beim Planen und Bauen noch in den Kinderschuhen. Sind das zwei Paar Schuh‘ oder gibt’s das eine ohne das andere gar nicht?     

Petra Schramm: Das eine bedingt das andere! Kreislaufwirtschaft basiert auf Nachhaltigkeit, das ist die Basis, die Kreislaufwirtschaft überhaupt erst möglich macht. Ohne nachhaltige Produkte, die dann auch wieder abgebaut und/oder zerlegt werden können, gibt es keine Kreislaufwirtschaft. Da kommt die Bauindustrie ins Spiel: Nachhaltige Produkte fördern die Kreislaufwirtschaft.

Weiss: Letztendlich ist es eigentlich auch eine Frage, ob Planen und Bauen zukunftsfähig ist/bleibt, denn über kurz oder lang wird es entsprechende, strengere Vorgaben seitens der Politik geben.  

Petra Schramm: Davon kann man ausgehen und das war mit ein Grund uns mehr damit auseinanderzusetzen. Ressourceneffizienz ist ja schon jetzt ein Thema – gesellschaftlich wie politisch – und es gibt bereits sämtliche Auseinandersetzungen mit dem Thema: Die Nachhaltigkeitsziele der EU – 17 Sustainable Developement Goals – oder das Pari­ser Klimaabkommen von 2015. Als Planer muss man auch im eigenen wirtschaftlichen Interesse danach trachten, inhaltlich fit zu bleiben. Und es braucht eine gewisse Zeit, das Wissen darüber, wie man kreislaufgerecht plant und baut, zu vermitteln.  

Weiss: Wie funktioniert diese Vermittlungsarbeit bei HMA? Wie wird neues Wissen intern weitergegeben?   

Petra Schramm: Das passiert im Rahmen ­unserer „Akademien“. Das sind im Grunde genommen Work­shops, an denen die Mitarbeiter teilnehmen und in denen jeweils ein Kollege oder eine Kollegin oder auch ein Team das Wissen, das sie sich zu ­einem Thema erarbeitet haben, aufbereiten und weitergeben. So habe ich das beispielsweise auch mit dem Kreislaufthema bzw. Cradle-to-Cradle beim Planen und Bauen gemeinsam mit meinem Kollegen und HMA-Geschäftsführer Georg Mitterecker gemacht.

Weiss: „Reduce – Reuse – Recycle" ist die Idee der Kreislaufwirtschaft, und zwar genau in dieser Reihenfolge. Wie sieht das derzeit in der tatsächlichen Bauproduktion aus?     

Petra Schramm: Es gibt aktuell eine Studie der TU-Wien, mit dem Ziel eine Datenbank zu entwickeln, in der Bestandsgebäude und die darin verbauten Materialen aufgenommen werden sollen. Auf Basis von Erfahrungswerten wird dabei je nach Errichtungsdatum geschätzt, was verbaut wurde, und auf den gesamten Gebäudebestand hochgerechnet. So hätte man quasi in Form eines Rohstoffkatasters für den Bestand erstmals einen Überblick, welche Rohstoffe und welche Mengen überhaupt in unseren Gebäuden lagern. Derzeit sind nur rund 10 Prozent der verbauten Materialien recyclingfähig. Der Rest landet auf einer Deponie, wobei neue Deponien kaum noch genehmigt werden und Deponieraum generell mittlerweile ein sehr knappes Gut ist. Daher müssen wir in Zukunft so viel wie möglich im Kreislauf halten bzw. recyceln.  

Weiss: Wie wirkt sich kreislaufgerechtes Bauen auf die Baukosten aus?     

Petra Schramm: Das ist schwierig zu beantworten. Die anfänglichen Errichtungskosten sind höher, weshalb viele Bauherren und Projektentwickler sich noch scheuen kreislaufgerecht zu bauen. Wenn man das Gebäude aber über den gesamten Lebenszyklus betrachtet, ist es garantiert nicht teurer. Richtig geplant erhöht sich durch kreislaufgerechtes Bauen die Nutzungsflexibilität und wenn sich die Nutzung leicht an andere Bedürfnisse und Funktionen anpassen lässt, erhöht sich automatisch auch die Nutzungsdauer. Das ist wirtschaftlich von Vorteil, aber auch in Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft ein Gewinn. Denn ­einer der Grundsätze der Kreislaufwirtschaft lautet auch, Gebäude so lange wie möglich in Gebrauch zu halten.  

Weiss: Und am Ende ... Reuse – Recycle? 

Petra Schramm: Wenn kreislaufgerecht gebaut, dann kann man alles, was verbaut ist, am Nutzungsende wieder verkaufen und sich so zumindest den Materialwert zurückholen. Und dabei ist noch nicht eingerechnet, dass in Zukunft die Deponiegebühren sicher deutlich höher sein werden.

Weiss: Dafür bräuchte es aber auch einen entsprechenden Gebrauchtstoffmarkt oder ein Second-Hand-Angebot für Baumaterialien. Wie sieht es derzeit aus mit der Verfügbarkeit von Reuse- oder Recycle-Materialien?   

Petra Schramm: In Wien gibt es beispielsweise das Bau-Karussell, das man bei großen Abbruchprojekten an Bord holen kann, wobei dann alle Wertstoffe ab- bzw. ausgebaut und weiterverkauft werden. In den Niederlanden gibt es beispielsweise die Plattform Madaster oder auch Alchemia-nova, die Planende und Ausführende als F&E-Unternehmen bei der Projektierung von Kreislaufwirtschaftsprojekten beraten und zum Teil bei der Beschaffung von Baumaterialien unterstützen können. Da ist vieles noch im Aufbau und je mehr mitmachen, umso besser wird’s in Zukunft auch funktionieren.  

Weiss: Verändert das Bauen in Hinblick auf die Demontierbarkeit bzw. Kreislauffähigkeit künftige Baukonstruktionen?    

Petra Schramm: Ja, es verändert natürlich unsere Baukonstruktionen, weil man kreislaufgerecht einfach anders bauen muss. Gut funktioniert es beispielsweise mit Holz, weil dies ein nachwachsender Rohstoff ist und weil man mit Holz so bauen kann, dass man am Ende die einzelnen Baukomponenten und Materialien wieder leicht demontieren und trennen kann. Aber auch die Modulbauweise bzw. generell (Leicht-)Bausysteme kommen der Kreislaufwirtschaft entgegen.

Weiss: Bedeutet das auch das Ende für Standards wie das Wärmedämm-Verbundsystem?    

Petra Schramm: Konventionelle WDVS sind aus Kreislaufwirtschaftssicht problematisch, weil sie kaum zu trennen sind. Da braucht es neue Systeme, die auch Reuse oder Recycling der Dämmstoffe möglich machen. Wesentlich besser im Hinblick auf Rückbau oder Wieder- bzw. Weiterverwertung sind zum Beispiel geschraubte oder gesteckte Holzbausysteme oder Mineralwolledämmungen, die gedübelt mit einer vorgehängten Fassade oder eventuell Putzträgerplatten sind – alles, was die Möglichkeiten des Rückbaus erleichtert bzw. ermöglicht. Da sind die Planer gefordert, ganz neue Bausysteme und Detaillösungen zu entwickeln. Aber in Zukunft müssen wir weg von Klebeverbindungen.

Weiss: Gibt es national oder international schon Vorzeigeprojekte in Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft.     

Petra Schramm: Zu den Vorreitern in diesem Bereich gehören aus meiner Sicht beispielsweise Werner Sobek, der nicht nur sein eigenes Wohnhaus demontierbar gebaut hat, sondern auch ein eigenes zerlegbares Bausystem auf Basis eigener Verbindungsknoten entwickelt, das jetzt erstmals bei einem Turm in Deutschland verwirklicht wird. Oder auch Baumschlager Eberle mit ihrem Bürohaus in Lustenau, das nur aus einer dicken Ziegelwand ohne Dämmung besteht – nicht unbedingt für „Reuse“ geeignet, aber Ziegel lässt sich hervorragend ohne Qualitätsverluste recyceln. Auch das Wohngebäude von Harry & Sally in der Seestadt, das vollkommen auf Modulbauweise basiert, ist hier sicher wegweisend.       

Weiss: Was wäre der Schlüssel für ressourcenschonendes Bauen/Kreislaufwirtschaft am Bau? Steuern und politische Vorgaben, Förderungen, Verbote oder die Nachfrage am freien Markt?     

Petra Schramm: Ich bin keine große Freundin von Verboten oder Einschränkungen, ehrlicherweise muss man aber sagen, dass Verbote natürlich helfen. Einerseits schon auch deshalb, weil sich dann auch die Bauindustrie Lösungen überlegen und Baumaterialien anbieten muss, die nicht nur nachhaltig sind, sondern auch kreislaufgerecht. Politische Vorgaben und Förderungen wirken, das sieht man beispielsweise an der Photovoltaik, die über Jahre gut gefördert wurde und mittlerweile Standard ist – jetzt auch ohne Förderung. Aber es ist nun beispielsweise in der Wiener Bauordnung vorgesehen, dass man einen gewissen Anteil an Photovoltaik installieren muss. So gesehen helfen gesetzliche Rahmenbedingungen natürlich sehr.  

Zitat:

„Ich sehe die Architektur hier in der Verantwortung, einen Beitrag gegen den Klima­wandel zu leisten und Lösungen für einen effizienteren Umgang mit Ressourcen aufzuzeigen.“  
Petra Schramm   


HMA Architektur ZT GmbH
Längenfeldgasse 27, 1120 Wien

Gegründet: 1996

Gründungspartner: 
Georg Mitterecker
Geboren: 1972 in Wien
Studium: TU Wien, 2003 Ziviltechnikerprüfung

Wolfgang Hann
Geboren: 1968 in Tulln
Studium: TU Wien, 1996 selbständige Tätigkeit als Architekt

Team:
Petra Schramm | Lisa Krebs | Philip Beisteiner | Manfred Ettinger | Adriana Dimitrova | Solveig Schillab | Ákos Kótai | Reinhard Zeh | Iulia Petcu | Leonie Armeanu | Sofia Korcinskaja | Nina Zurek | Anna Mitterecker | Lena Neudecker | Barbara Thuswaldner | Jacqueline Mandl-Scholl | Maximilian Holl | Alketa Veseli | Anna Petrovicz | Anne Wunderlich | Roman Kozubek | Renate Rödel | Nicole Fitz |  Regina Bednar | Natalia Matviishyn