INTERVIEW: Dietmar Steiner
Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrum Wien (AzW) im Gespräch mit WEISS Chefredakteur Tom Cervinka über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Architektur, den Wandel des Berufsbildes und das Verhältnis von Baukultur, Politik und Gesellschaft.
Das AzW ist so eng mit der Person Dietmar Steiners verbunden, dass man den Eindruck hat, es sei Ihre Erfindung. Wie war es denn wirklich?
Anfang der 1990er-Jahre herrschte in Österreich eine kulturpolitische Aufbruchstimmung. Das AzW ist aus dem politischen Willen des damaligen Kulturministers Rudolf Scholten heraus entstanden, in jedem Bundesland eine Art Kulturvermittlungsinstitution zu initiieren. Mit Hannes Svoboda und Ursula Pasterk gab es damals in Wien zwei architekturaffine Stadträte, und ich wurde beauftragt, ein Konzept für ein Wiener Architekturforum zu schreiben. 1992 wurde die Gründung des AzW beschlossen, und ich wurde gefragt, ob ich dieses leiten möchte.
Die Subventionspolitik im Kulturbereich hat sich drastisch geändert. Wie geht es dem AzW heute finanziell?
Ich habe damals ein Jahresbudget von rund sieben Millionen Schilling konzipiert, wobei jeweils ein Drittel vom Bund und von der Wiener Stadtplanung sowie ein weiteres Drittel aus dem Kulturbudget kommen sollte. In den 1990er-Jahren sind wir damit gut ausgekommen. Mit der Erweiterung und Neueröffnung im neuen Museumsquartier hat die Stadt Wien deutlich erhöht – auf ein Gesamtbudget von rund 1,5 Millionen. Seitdem gab es von der Stadt keine Erhöhung, und auch vom Bund seit 1995 nicht mehr. Alleine durch die Inflation haben wir heute rund 30 Prozent weniger Budget. Das konnten wir durch Sponsoren ausgleichen, aber jetzt sind wir am Limit, um die bisherigen Leistungen noch aufrechterhalten zu können. Ich habe immer wieder wutentbrannte „Bettelbriefe“ geschrieben. Immerhin sind wir das architekturkulturelle Gedächtnis dieser Nation. Auf politischer Seite wird das leider nicht gesehen.
Ist dieser mangelnde öffentliche Stellenwert der Architektur allgemein mit ein Grund für die Krise, in der die Architektur fortwährend zu stecken scheint?
Das liegt eher an grundlegenden Veränderungen in der Architektur, auch der Beruf definiert sich immer wieder neu. Außerdem hat die Architektur seit den 1980er-Jahren eine Konjunktur an öffentlicher Aufmerksamkeit wie nie zuvor erfahren. Gleichzeitig gibt es kaum eine inhaltliche Auseinandersetzung.
Und auf politischer Seite?
Wird die Architektur nach wie vor nicht als Kulturdisziplin wahrgenommen. Ich habe aber auch schon Zeiten erlebt, wo Architektur gar nicht auf der politischen Agenda stand. So gesehen haben wir eine Verbesserung erzielt. Ein Anfang, denn überall dort, wo qualitätsvolle Architektur entsteht, geht das nicht von Mäzenen oder Investoren aus, sondern von der Politik. Es sind die Bürgermeister, die gute Architektur initiieren – oder auch nicht.
Dabei genießt österreichische Architektur doch durchaus internationale Anerkennung?
Das hatte sie in den 1970er- und auch in den 1990er-Jahren. Die aktuelle heimische Architekturproduktion kann man aber leider nicht als „outstanding“ bezeichnen. Da sind Länder wie Belgien oder Kroatien derzeit sicher spannender.
Woran liegt das, dass die heimische Architektur an internationaler Bedeutung verloren hat?
Darüber kann man spekulieren: private Bauherren, die öffentliche Hand, die Ausbildung oder an zu vielen (Jung)Architekten, die sich eher die Überlebens- als die Qualitätsfrage stellen. Und auch an einer gewissen Begründungsfeindlichkeit. Ein Architekt muss erzählen können, warum er etwas macht. Diese reflexive Position der Architektur hatten wir in den 1970er-Jahren, aber die ist verloren gegangen. Wir haben nach wie vor sehr gute Architekten. Aber sie sind gegenüber den Businessarchitekten wieder in der Minderheit.
Also analog zur aktuellen Ausstellung im AzW: das Ende der Architektur?
Nein. Wir haben derzeit einen dramatischen Wandel im Berufsbild. Man muss abwarten, was Mediatisierung, Digitalisierung oder BIM, wo alle Projektbeteiligten mit einer Software auf einer Internetplattform gleichzeitig arbeiten, bringen wird. Es sind immer auch die Werkzeuge, die die Architektur prägen.
Was sollte man einem jungen Architekturstudenten bzw. Nachwuchsarchitekten also raten?
Da halte ich es ganz mit Wolf Prix: Jus zu studieren. Das ist mit eine dieser drastischen Veränderungen im Bauprozess: Es gibt kein Verhalten mehr auf Augenhöhe. Jeder ist nur noch auf der Suche nach Fehlern, Mängeln, möglichen Mehrleistungen, um den Preis nachzuverhandeln. Der gesamte Bauprozess wurde von Juristen okkupiert. Und alle schieben die Verantwortung weiter.
Am Ende vielleicht doch auch noch ein Hoffnungsschimmer? Gibt es einen Ausweg für die Architektur?
Ja! Wir müssen wieder zurückfinden zu einer Ökonomie des gegenseitigen Respekts und der Anerkennung der Leistungen des Anderen. Sonst ist die Architektur in einer Abwärts- spirale und der Torpedierung und Zerpflückung durch Juristen ausgeliefert.
 Mag. arch. Dietmar Steiner Direktor Architekturzentrum Wien (AZW) | geb. 31.12.1951 in Wels |
Studium der Architektur | an der Akademie der Bildenden Künste, Wien |
langjähriger Mitarbeiter von Friedrich Achleitner | am Archiv „Österreichische Architektur im 20. Jhd.“ |
bis 1989 Lehrtätigkeit | an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien |
zahlreiche Beiträge zur Kritik und Theorie der Stadt und Architektur | in internationalen Medien, zahlreiche Ausstellungen und Publikationen |
seit 1989 eigenes Büro | für Architekturberatung in Wien |
seit 1993 | Direktor des Architekturzentrum Wien (AZW) |
von 1995 – 1999 Redakteur für Architektur | der Zeitschrift "domus" in Mailand |