Vom Wehrturm zur kulinarischen Hochburg
Restaurant im Taborturm, Steyr (OÖ): Dank der Rundumsicht auf die Stadt selbst übernahm er gleichzeitig aber auch die Funktion des Wachturms gegen Feuersbrünste – infolge der offenen Feuerstellen über die Jahrhunderte eine der größten Bedrohungen für Städte. Nach der umfassenden Sanierung und Revitalisierung im Laufe des vergangenen Jahres wacht der Taborturm heute „nur“ noch über das kulinarische Niveau der Steyrer und sichert der Stadtbevölkerung und ihren Gästen Gaumenfreuden auf höchstem Niveau.
Knapp 550 Jahre nach seiner Errichtung wurde der Taborturm nach langjährigem Leerstand im Laufe des vergangenen Jahres zuerst architektonisch und anschließend kulinarisch wiederbelebt. Anfang 2021 starteten die Bauarbeiten. Im Februar 2022 öffnete das neue Restaurant „Taborturm“ seine Pforten, womit das historische Baudenkmal endlich wieder eine Funktion zurückbekommen hat.Â
Im Wandel der Zeit
Aus dem Tschechischen übersetzt bedeutet das Wort Tabor so viel wie „Lager“ – womit ebenso ein militäÂrisches Feldlager wie auch ein Zelt-, Sommer- oder Ferienlager gemeint sein kann. Darüber hinaus bezeichnet Tabor nicht zwangsläufig ein Gebäude, sondern vielmehr die Örtlichkeit eines Lagers samt aller dazugehörenden baulichen Einrichtungen. So ist auch der 1480 als Teil der mittelalterlichen Steyrer Stadtmauer erbaute Wehrturm nach dem Ort seiner Errichtung am Tabor – einer Anhöhe nördlich der Altstadt – benannt. Der Taborturm diente aber nicht nur dem Schutz vor äußeren Feinden, sondern war über die Jahrhunderte hinweg auch Sitz der örtlichen Feuerwache mit zwei ständigen Feuerwächtern, die im Schichtbetrieb rund um die Uhr nach Bränden Ausschau hielten und im Ernstfall Alarm schlugen. Diese Aufgabe erfüllte der Taborturm bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Erst in den 1950er Jahren verließen die letzten Brandwächter den Turm.
Signifikante Landmarke und längst liebgewonnenes Wahrzeichen für die Stadt brauchte es für den weiteren Erhalt eine neue Nutzung. Bis zum Jahr 1958 wurde deshalb der Turmbau radikal umgebaut und alle Voraussetzungen für den Einzug einer Gastwirtschaft geschaffen. Der rein funktionale Bau mit seinen fetten Steinwänden, kleinen Fenstern, Schießscharten und schlichtem quadratischen Turm samt Feuerglocke wurde im Stil der 1950er Jahre gehörig überarbeitet: Das Erdgeschoß erhielt vergleichsweise riesige Bogenfenster, die die besondere Lage betonen, indem sie den einzigartigen Blick auf die Altstadt inszenieren, auf der Talseite wurde zur Behübschung ein Erkertürmchen an die Fassade gesetzt und am Steildach ragen seit dieser Umbauphase ein paar Schleppgauben aus der Dachfläche. All das, um den trutzigen alten Wehrturm ein bisschen freundlicher und optisch gefälliger zu machen.
In den 1970er und zuletzt Anfang der 2000er Jahre folgten weitere Umbauten, die sich aber ausschließlich auf den Innenbereich, sprich die Gasträume, sowie die Adaptierung der räumlichen und technischen Anforderungen aus der gastronomischen Nutzung beschränkten. In den vergangenen Jahren wurde das Gebäude nur noch als Wohngebäude verwendet.
Neues Leben in alten Mauern
Neuer Eigentümer des Taborturms ist der in der Schweiz lebende und in Steyr geborene Klaus Wesp, Top-Manager einer Softwarefirma und schon seit längerem auf der Suche nach einer passenden Immobilie in seiner ehemaligen Heimatstadt. Mit Christian Mayr vom Landgasthof Mayr in St. Ulrich als Pächter an seiner Seite will Wesp den neu erworbenen Taborturm wieder zu einem gastronomischen Fixpunkt in Steyr machen. „Wir schaffen einen neuen kulinarischen Fixpunkt mit regionaler, gutbürgerlicher Küche, ausgezeichneten Weinen und Monatsbier vom Fass. Ich freue mich, ausgezeichnete Köche für den Taborturm gewonnen zu haben“, so Mayr zur neuen Location.
Zugute kommt dem renommierten Gastronomen und seinem Investor dabei auch der im August 2020 eröffnete Panoramalift, der die Innenstadt vom Michaelerplatz aus mit dem Tabor verbindet und damit nicht nur die Anhöhe, sondern auch das Restaurant für Personen mit Behinderungen, ältere Menschen oder Familien mit Kinderwagen zugänglich macht. Bislang war die einzige Möglichkeit direkt aus der Stadt zum Turm zu gelangen per pedes über die 1951 eröffnete Taborstiege.
Mit der Aufgabe, das desolate Bauwerk wieder zurück ins Leben zu holen, wurde das ortsansässige Ziviltechnikerbüro PoppePrehal Architekten beauftragt. „Mit der Planung für den Taborturm erfüllte ich mir einen persönlichen Traum – ein Gasthaus zu planen! Bei diesem besonderen Gebäude hat meine Arbeit natürlich noch zusätzlich an Reiz gewonnen“, so Andreas Prehal, Chefplaner des Projekts. Diese jüngste Revitalisierung des historischen Turmgebäudes stellte das Planerteam rund um Helmut Poppe und Andreas Prehal jedoch auch vor gehörige Herausforderungen. Immerhin galt es, ein in den Grundmauern durch und durch mittelalterliches Gebäude nicht nur gestalterisch, sondern auch technisch ins 21. Jahrhundert zu holen. Vor allem Letzteres erwies sich als schwieriger Spagat zwischen Denkmalschutz und den Erfordernissen bzw. rechtlichen Anforderungen an eine zeitgemäße gastronomische Nutzung. Architekt Andreas Prehal dazu: „In den alten Mauern Neues zu schaffen, wo alt und neu koexistieren können, ist eine besonders interessante Aufgabe. Der Umgang mit unveränderlichen Gegebenheiten macht die Planung besonders spannend.“
Bei der letzten großen baulichen Veränderung in den 1950er Jahren blieben eigentlich nur die Grundmauern unangetastet – alles andere wurde massiv verändert und in vielen Bereichen neu aufgebaut. Im Zuge des aktuellen Umbaus durfte äußerlich kaum etwas verändert werden, denn ein Großteil der baulichen Adaptierungen aus den 1950er Jahren steht heute ebenfalls unter Denkmalschutz. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Betrieb einer Gaststätte haben sich in den vergangenen 70 Jahren jedoch gehörig verändert. So stellte beispielsweise die Be- und Entlüftung der Küche die Planer vor ein fast unlösbares Problem. Abhilfe schafft jetzt eine Kombination aus mechanischer und Fensterlüftung. Ähnlich anspruchsvoll war auch die Forderung der Baubehörde nach Barrierefreiheit im Gebäude. Erst nach langem Suchen fand sich eine Ecke im Gebäude, die für das Denkmalamt nicht schützenswert war und so für den Einbau eines Lifts ins Obergeschoß genutzt werden konnte. Damit konnten die zwei Gasträume im Erdgeschoß mit dem kleinen und dem großen Saal im Obergeschoß barrierefrei verbunden werden.   Â
Kunst am Boden
Bei diesem komplexen Zusammenspiel von alten Mauern und neuen Konzepten, von gestalterischen Wünschen, baulichen Vorgaben, rechtlichen Anforderungen und bautechnischen Einschränkungen galt es als oberste Prämisse, Designelemente in die Umgestaltung zu implementieren, die optisch das gesamte Projekt zusammenhalten. Ein wesentliches Element nicht nur aus Sicht der Barrierefreiheit, sondern vor allem in Hinblick auf das einheitliche Erscheinungsbild ist der Boden. Die Wahl fiel auf Weber Design Floor, eine zementgebundene Bodenbeschichtung, die eigentlich für Industriefußböden, Lagerhallen und Produktionsstätten entwickelt wurde und für mittelschwere bis schwere rollende Belastungen ausgelegt ist. Für die Umsetzung konnte der freischaffende Künstler Manfred Pfandlbauer gewonnen werden. Der Geschäftsführer von Freistil – Werkstatt für Gestaltung – ist spezialisiert auf künstlerische Arbeiten mit Beton. Der neue Boden ist ein Unikat, das speziell auf das Raumambiente im neuen Taborturm abgestimmt ist. „Da es sich beim Taborturm um eine Sanierung handelte, waren in der gesamten Bodenfläche unterschiedliche Untergründe vorhanden, wie alte Fliesen oder Estrich, und vor allem gab es auch entsprechende Niveauunterschiede“, erklärt Bodenkünstler Manfred Pfandlbauer. Die Niveauunterschiede konnten in einem Arbeitsgang ausgeglichen werden. Um eine fugenlose Oberfläche zu erhalten, wurde die gesamte endgültige Beschichtung im ganzen Erdgeschoß in lediglich zwei Stunden ausgebracht – unter dem strengen Blick des Künstlers, denn „bei Gießböden gibt es nur einen Versuch. Jeder noch so kleine Fehler hätte fatale Auswirkungen auf das spätere, ausgetrocknete Endprodukt und ist im Nachhinein nur schwer wieder zu beheben!“  Â
Zeitloses Interieur
„Weder rustikal noch zu modern“, lautete der Wunsch des Bauherren in Bezug auf die Innenraumgestaltung und -ausstattung des Lokals. Gestalterisch zeitlos, qualitativ hochwertig, einfach und bodenständig soll das neue Interieur seine Gäste überzeugen. „Die Vorgaben von Klaus Wesp deckten sich mit meinen Vorstellungen ziemlich gut! Mein Ziel war es, ein Lokal zu planen, welches sich von der Atmosphäre, der Farbgebung und der Haptik her wie eine alte Gaststube anfühlt. Das alles aber mit einer zeitgenössischen Formensprache“, umreißt Andreas Prehal sein Gestaltungskonzept.  Â
Im Inneren wurde das denkmalgeschützte Gebäude vom Architektenteam behutsam zeitgemäß (um-)interpretiert. Die Ende der 1950er Jahre eingebauten Rundbogenfenster im Erdgeschoß spielen noch immer eine Hauptrolle und öffnen den Blick von der Gaststube aus auf die darunterliegende Stadt. Rundumlaufende Sitzbänke bringen eine gemütliche Atmosphäre in die historischen Mauern. Für Gemütlichkeit sorgen auch Materialwahl und Formensprache: hochwertiges Vollholz, Lärche gebürstet, geradlinig, mit feiner Haptik und eleganten Formen. Das dunkel gebeizte Vollholz findet sich nicht nur in den vom Tischler eigens gefertigten Stühlen und Massivholztischen wieder, sondern in Form von Vertäfelungen auch an den Wänden. Das hat gleich mehrere Gründe: Einerseits soll das Wohlfühlambiente eines typischen Wirtshauses vermittelt werden, auf der anderen Seite sorgt die Vertäfelung auch für tatsächliches körperliches Wohlbefinden, indem sie als Wärmeschutz gegen die Kälteabstrahlung der bis zu eineinhalb Meter dicken Steinwände wirkt. Neu hinzugekommen zu den zwei Gasträumen im Erdgeschoß ist ein eigener Barbereich, damit „die einen Gästen in Ruhe (fertig)speisen können, während die anderen schon beim Trinken sind“, so die Idee hinter der neuen Bar.
Neuer Außenbereich
So viel sich im Inneren verändert hat, nach außen bleiben die Umbauten größtenteils unsichtbar, zumindest was den Turm selbst betrifft, denn rundherum ist einiges passiert – weht im wahrsten Sinne des Wortes ein neuer Wind. Oder eher eine angenehme Brise unter den neuen, sechs Meter hohen Kastanienbäumen, die nicht nur Schatten und Frischluft spenden, sondern dem neuen Außenbereich zusammen mit dem neu angelegten Kiesboden den typisch gemütlichen Gastgartencharakter verleihen. Ãœber drei Ebenen erstreckt sich der Gastgarten und bietet zusammen mit den zwei Terrassen auf unterschiedlichen Ebenen ein umfassendes Angebot, laue Sommerabende unter freiem Himmel mit allen Sinnen ausgiebig zu genießen.       Â
ZITAT:
„In den alten Mauern Neues zu schaffen, wo alt und neu koexistieren können, ist eine besonders interessante Aufgabe.“
Architekt Andreas Prehal
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KASTEN:
PoppePrehal Architekten ZT GmbH
Seit der Gründung im Jahr 2000 von Mag. arch. Dr. Helmut Poppe und Mag. arch. Andreas Prehal greifen P*P Architekten stets neue Themen auf, um den wachsenden Bedürfnissen an Energie- und Kosteneffizienz sowie Nutzerfreundlichkeit und Ästhetik zu entsprechen. Mit Sitz in Steyr realisieren sie auch als Generalplaner österreichweit Gesamtkonzepte und Gesamtumsetzungen für Gewerbegebäude, öffentliche Gebäude, Stadt- und Raumplanung, aber auch Wohnanlagen und Einfamilienhäuser. Herausragende Leuchtturmprojekte von P*P in den letzten Jahren waren unter anderem das iLogistics Center von cargo-partner sowie der METRO Nullenergie-Großmarkt ZERO1 in St. Pölten, der auf Grund seiner konsequent nachhaltigen Bauweise als erstes Gewerbegebäude europaweit die BREEAM Zertifizierung OUTSTANDING erhalten hat.
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FAKTEN:
Restaurant im Taborturm, Steyr (OÖ)
Taborweg 7, 4400 Steyr
Bauherr:Â Klaus Wesp
Architekt:Â PoppePrehal Architekten ZT GmbHÂ
Bodenbelagsarbeiten: Freistil – Werkstatt für Gestaltung
Baubeginn: Jänner/Februar 2021
Fertigstellung: Februar 2022
Nutzfläche Gastronomie: ca. 800 m²
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