Zeitreise in die Urgeschichte
Sie ist einer der ältesten und bedeutendsten von Menschen geschaffenen Kunstschätze. Zum Schutz des Originals wurde für die Besucher/innen vom norwegischen Architekturbüro Snøhetta „Lascaux 4“ errichtet – ein Ausstellungsgebäude, das sich am Fuße des Höhlenberges in die Landschaft einfügt und makellose Nachbildungen der Malereien in Originalgröße beherbergt.
Rund 60 Millionen Euro ließen sich das Département Dordogne und die Region Nouvelle-Aquitaine mit Unterstützung der EU den eindrucksvollen Neubau „Lascaux IV“ kosten. Darin finden sich die originalgetreuen Nachbildungen der einzigartigen Höhlenmalereien, die von den Cro-Magnon-Menschen an die Felswände gemalt wurden.
Zeitkapsel
„Wir haben nichts Neues dazugelernt“, konstatierte Pablo Picasso nach seiner Besichtigung der Höhle von Lascaux. Unzählige Malereien – voraussichtlich aus der Jungsteinzeit und damit rund 20.000 Jahre und mehr alt – schmücken die Höhlenwände und machen sie zu einem der weltweit bedeutendsten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte. Seit Ende der 1970er Jahre ist die Höhle von Lascaux Teil des Weltkulturerbes der UNESCO.Â
Nach ihrer zufälligen Entdeckung durch vier Schüler im Jahr 1940 wurde die Höhle im Jahr 1948 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit zum Publikumsmagneten. Nicht ohne Folgen, denn durch den großen Besucheransturm änderte sich das Kleinklima im Höhlenraum und die Wandmalereien zeigten Schäden durch Algen und Schimmelpilze, so dass die Höhle bereits Anfang der 1960er Jahre für Besucher wieder weitgehend geschlossen wurde. Seitdem wird der Zustand der Malereien streng überwacht und war bis in die 2000er Jahre stabil, bis man 2006 neue, durch Mikroorganismen entstandene Flecken entdeckte. Das wissenschaftliche Orientierungskomitee empfahl auch den Rummel rund um die Höhle drastisch zu reduzieren. Rund 300.000 Besucher wurden in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten den Hügel hinaufgekarrt, um in „Lascaux 2“ die Reproduktionen der Tierdarstellungen zu bewundern. Das ist jetzt vorbei – um der Höhle auch im Umfeld wieder Ruhe zu verschaffen. Und so bewirtschaften auch die Waldarbeiter am Hügel über dem Höhlenraum heute nicht mehr mit Traktoren, sondern wieder mit Pferden den Wald.     Â
Perfekte Kopie
Hunderte von gezeichneten, gemalten und in die Felswände gravierten Tierdarstellungen wurden in Lascaux gefunden, über 600 an der Zahl konnten bislang identifiziert werden und sind heute im spektakulären Neubau am Fuße des Hügels im Originalmaßstab zu bestaunen. Ãœber drei Jahre lang waren über 25 Künstlerinnen und Künstler am Werk, um eine millimetergenaue Reproduktion herzustellen, die selbst für die Forscher als weitere Untersuchungs- und Arbeitsgrundlage dienen können soll. Gemalt wurde auf Felsimitationen aus Stahl und Acrylharz, die auf einem 3-D-Laserscan-Modell des Höhleninnenraums basieren. Â
Raum-Choreografie
Rund 800 Meter vom Originalfundort entfernt, werden in Lascaux IV nicht nur die einzelnen Malereien in Originalgröße abgebildet, sondern auch Teile der Höhle selbst in ihrer Proportion sowie die Lage und Positionierung der Kunstwerke zueinander exakt nachgebildet. Selbst die Temperatur ist in der sogenannten Grotte im Untergeschoß „kopiert“ – so herrschen im Sommer maximal 16 und im Winter durchschnittlich 13 Grad Celsius im nachgebauten Höhlen-Ausstellungsraum.
Für den trockenen Innenausbau mit den gewaltigen Dimensionen von über 15.000 Quadratmetern Fläche wurden mit den beiden französischen Unternehmen Sudire & Fils sowie Valiani & Fils gleich zwei eingespielte Teams engagiert, die beide viel Erfahrung und Expertise in der Gestaltung von Ausstellungsräumen ins Projekt einbrachten. In enger Zusammenarbeit mit den Ausstellungs-Szenographen wurde der Innenraum auch trockenbautechnisch in Szene gesetzt. Während der Großteil der Außenwände unverkleidet blieb und die rohe Betonstruktur zeigt, wurden nahezu alle Decken mit 2  x  12,5 Millimeter Akustikplatten Duo’Tech bekleidet. Diese stellen nicht nur den erforderlichen Brandschutz sicher, sondern dienen vor allem der Raumakustik im Innenraum, der ansonsten ausschließlich schallharte Oberflächen aufweist. Als besondere Herausforderung erwies sich im Zuge der Bauausführung die Integration der unregelmäßig geschnittenen Oberlichter in den bis zu 13 Meter hohen Ausstellungsräumen. Zusätzlich erschwert wurde die Montage durch den Gebäudezuschnitt, der keine geraden Wände oder rechten Winkel aufweist, sondern sich stattdessen als eine Abfolge von Räumen mit unregelmäßigen Zuschnitten präsentiert. Weiters musste ein Teil der Deckenbekleidung „nass“ ausgeführt werden – sprich zumindest über die Bauzeit den Anforderungen eines gedeckten Außenbereichs entsprechen, da für den Einbau der Ausstellungsexponate bis zur endgültigen Fertigstellung ein Kran im Gebäude verblieb, der erst kurz vor der offiziellen Eröffnung durch die Öffnung im Dach abgebaut werden konnte.   Â
Beton und Glas statt Stein und FelsÂ
Für die Gesamtkomposition von Architektur, InnenÂraum und Landschaftsgestaltung zeichnet das norwegische Architektenteam vom Büro Snøhetta verantwortlich. Nur 800 Meter von der Höhle entfernt setzte Architekt Kjetil Trædal Thorsen das Gebäude am Fuße des Hügels von Lascaux genau an die Schnittkante zwischen Hügel und flacher Ebene und damit an die Grenze zwischen der naturbelassenen, bewaldeten Kuppe und die landwirtschaftlichen Nutzflächen. So ist auch die Form des Baukörpers als Grenzlinie und Einschnitt in die Landschaft konzipiert, dessen Dach die sanfte Linie des Hügels aufnimmt. Wände, Dach und Böden – innen wie außen – sind alle aus ein und demselben Material – hellgrauem Beton – gefertigt, was den Eindruck eines in der Landschaft liegenden Monolithen erweckt. Die rohen Oberflächen zeigen die horizontalen Schichten, die von der Einbringung des Betons stammen und sind eine gestalterische Anspielung auf den Fels und die Steine des Hügels sowie auf die Höhle selbst. Zweites vorherrschendes Material ist Glas. Mit riesigen Glasflächen öffnet sich das Gebäude an seiner Vorderseite zur flachen Landschaft hin und lädt mit dieser öffnenden Geste die Besucher ein. Die starre Grenze zwischen innen und außen wird damit aufgelöst und viel natürliches Licht in die oberirdischen Räume geholt, wie die Cafeteria oder die Empfangshalle. Verglaste Einschnitte im Dach bringen vertikales Licht in die weiter hinten gelegenen, eigentlichen Ausstellungsräume und inszenieren mit natürlichem Tageslicht die unter den Lichtschächten aufgehängten Ausstellungsexponate. Dieser Wechsel von Hell und Dunkel mit Lichtspots über den Höhlenrepliken erzeugt dramatische Raumeffekte im Inneren, welche die kulturgeschichtliche Bedeutung der ausgestellten Kunstwerke unterstreichen und hervorheben. Â
Zitate:
„Wir haben nichts Neues dazugelernt!“Â
Pablo Picasso
„Ein feiner Schnitt in die Landschaft aus Beton und Glas!“
Snøhetta
Fakten:
Internationales Zentrum für Höhlenkunst
Avenue de Lascaux, 24290 Montignac/FR
Auftraggeber: Conseil Général de la Dordogne, 24019 PérigueuxÂ
Architektur | Landschaftsplanung | Innenarchitektur: Snøhetta, 75004 Paris
Szenografie: Casson Mann
Projektpartner: SRA Architectes, 92320 Châtillon
Fassaden- und Glaskonstruktion: RFR Ingenieure, 75010 Paris
Baubeginn: 2012
Fertigstellung: 2016
Grundfläche: 11.400 m2