Architektur mit Weitblick
Da werden alle schauen: Nach dem Kunsthaus und der Murinsel ist ein neuer architektonischer „Alien“ im Anflug auf Graz. Eine Stadt, die Mut zur Form beweist, und ein Projekt, das den Weg in die Zukunft zeigt.
von Barbara Jahn
Manche Projekte brauchen einen langen Atem: Das Argos in Graz ist eines davon. Bereits 2004 ging die britische Architektin und PritzkerPreisträgerin Zaha Hadid aus dem von der Wegraz ausgelobten Wettbewerb für die Bebauung der Burggasse 15 in Graz, zu dem noch 11 weitere große Namen wie Erich Bernard (BMW), Coop Himmelb(l)au, Dietmar Feichtinger, Volker Giencke, Henke und Schreieck, Innocad, Kreutzer & Krisper, Hrvoje Njiric, Peter Reitmayr, Ernst Giselbrecht und Klaus Kada geladen worden waren, als Siegerin hervor. Graz befand sich im im Laufe des Jahres 2003, in der es zur Kulturhauptstadt erhoben wurde, in einer großen Aufbruchstimmung, die sich unter anderem auch in einer neuen Architektursprache auszudrücken begann. Nach zwölf Jahren erfolgte endlich der Spatenstich zu einem der zukunftsweisendsten Hochbauten der steirischen Landeshauptstadt. Heute befindet man sich in der Zielgeraden.
Wer nichts wagt …
Es ist freilich ein Projekt, das polarisiert und auf eine bewegte Entstehungsgeschichte zurückblickt: Schon im Vorfeld gab es Widerstand, denn ein Biedermeierhaus aus dem Jahr 1785, genannt „Kommod-Haus“, mit beliebten Lokalitäten der Grazer Bevölkerung musste dafür Platz machen. Doch auf Protest war man bereits eingestellt – das Kunsthaus von Peter Cook und Colin Fournier wurde ebenfalls Gegenstand kontroversieller Diskussionen. Nachdem endlich alle Steine aus dem Weg geräumt waren – dazu gehörte auch die jahrelange Abstimmungsarbeit mit der Altstadtsachverständigenkommission – konnte mit der Realisierung begonnen werden. Noch immer wird die Errichtung mit Argusaugen beobachtet – fast schon ein Kompliment, wenn ein Gebäude seinem Namen so gerecht wird. Aufsichtsrat der Wegraz Dr. Reinhard Hohenberg und Wegraz-Geschäftsführer Mag. Dieter Johs sind überzeugt: „Mutige Architektur wird immer für Diskussionen sorgen. Graz hat jedoch ein internationales Projekt wie dieses verdient. Neben dem Erhalt wertvoller Bauten muss auch Raum für neue zielgerichtete und hochwertige Baukunst sein.“
Kommen, um zu bleiben
Der Name des zukünftigen Wohn- und Geschäftshauses ist Programm. Inspiriert aus der griechischen Mythologie, zeichnet sich die Fassade durch augenähnliche Fensteröffnungen aus, die dem Riesen Argos mit seinen hundert Augen nachempfunden sind. Dennoch tangiert der antike Namensgeber nur das Formale – vielmehr öffnet sich die Gebäudehülle nach außen hin und gewährt Ausblicke in alle Richtungen. Wegweisend ist auch die zukünftige Nutzung des Argos: ein Apartmenthotel für längere Aufenthalte mit 22 servicierten Wohneinheiten zwischen 30 und 80 Quadratmetern Größe. Als Mieter kommt man in den Genuss eines Concierge, eines Reinigungs- und Wäscheservice, eines Shuttle-Dienstes oder auch Mietautos und einiger anderer Annehmlichkeiten wie etwa die Organisation von Karten kultureller Veranstaltungen. Die Zielgruppe sind Businesskunden, aber auch Private, die sich für einige Zeit in Graz auf-halten werden und sich zuhause fühlen möchten.
Aug um Aug
Die Wölbungen an der Fassade sind wohl das wesentlichste Merkmal des außergewöhnlichen Gebäudes, das sich seinen Platz in der Grazer Altstadt zwischen altehrwürdigen Gründerzeitfassaden sucht. Zugegeben, ein ungewohntes Bild, jedoch auf den zweiten Blick sieht es schon ganz anders aus. Nicht nur die Kommunikation zwischen Innen und Außen funktioniert über die plastischen, befensterten Ausbuchtungen, die gegeneinander versetzt vor- und zurückspringen: Durch die groß dimensionierten so genannten „Bubbles“ baucht sich erkerartig der auf diese Art erweiterte Wohnraum in den Straßenraum hinaus und lässt direkt am Stadtleben teilhaben. Die Asymmetrien und Schwünge, die seit jeher die Architektursprache von Zaha Hadid prägen, erzeugen eine besondere Dynamik, die den Standort neu prägen und ihm ein neues Gesicht verleihen wird. Das zu erreichen war der in der Zwischenzeit verstorbenen Baukünstlerin mit irakischen Wurzeln stets ein An- liegen: „Meine Bauten versprechen Optimismus. Ich glaube jedenfalls daran, dass ich in der Architektur etwas ausdrücken kann, von dem wir noch nicht ahnen, dass es möglich ist – eine Ordnung der Dinge, ein anderer Blick auf die Welt.“
Runde Sache
Doch nicht nur die Form, auch die Materialwahl und das Interieur sind hochspannend. Im Erdgeschoß befindet sich zukünftig ein kleines Geschäftslokal mit 120 Quadratmetern sowie die Lobby des so genannten „Boardinghouse“. Im ersten Obergeschoß entsteht eine Bürofläche von 300 Quadratmetern, ab der zweiten aufwärts bis zur Etage befinden sich schließlich die Design-Apartments. All das wird eingehüllt in eine papyrusweiße Gebäudehaut mit einer klassischen zweigeschoßigen Sockelzone, die durch eine nach unten und nach innen geneigte, zurückgesetzte rahmenlose Structural-Glazing-Fassade (SG) das darüber liegende fünfgeschossige Wohngeschoß schwebend erscheinen lässt. Die Glasfront setzt sich zu den Nachbargebäuden durch eine Schattenfuge ab. Die trichterförmig ausgebildeten Bubbles, die als Fertigteile eines regionalen Herstellers angeliefert wurden, sind aus glasfaserverstärktem Kunststoff, produziert in einem Negativgussverfahren. In diese gedämmte und hinterlüftete Kunststofffassade wurden die rahmenlosen SG-Fensterflächen eingesetzt. In den Innenräumen folgt die Architektur den charakteristischen Krümmungen und Rundungen – eine Herausforderung für die Trockenbauer, die die Gipskartonplatten an die Gegebenheiten millimetergenau anpassen mussten. Ebenso gefordert war auch Architekt Martin Cserni, der für die technische Ausführung vor Ort und die Detail- und Einrichtungsplanung verantwortlich zeichnet. Die Vorgabe durch Zaha Hadids ungewöhnliche Gebäudehülle suchte nach einer guten Antwort und nach einem würdigen Pendant im Interieur.
Augen auf
Die Fertigstellung des Projektes ist für 2019 vor- gesehen. Doch schon jetzt kann man sagen, dass Graz, die City of Design, in Kürze um eine architektonische Sensation reicher sein wird. Doch nicht nur für Architekturliebhaber und Touristen wirkt das Argos in all seinen Facetten wie aus einem Guss: maßgeschneiderte Architektur, maßgeschneidertes Innenleben und maßgeschneidertes Konzept für die künftigen Nutzer.     Â
Zaha Hadid
- geboren 1950 in Bagdad/Irak
- studierte Mathematik in Beirut und Architektur in London
- ab 1977 Mitarbeiterin bei Rem Koolhaas (OMA)
- 1980 Gründung des eigenen Büros
- bekam 2004 als erste Frau den Pritzker Price
- bekannt durch ikonische Bauwerke wie unter anderem die Vitra Fire Station, Phaeno Wolfsburg, Sheik Zayed Bridge, London Aquatics Center, Port Authority Antwerpen, Maxxi-Museum Rom und in Österreich die Bergisel- schanze, Hungerburgbahn Innsbruck und das Library & Learning Center der WU Wien
- gestorben 2016 in Miami
Â
Zitat:
„Meine Bauten versprechen Optimismus. Ich glaube jedenfalls daran, dass ich in der Architektur etwas ausdrücken kann, von dem wir noch nicht ahnen, dass es möglich ist – eine Ordnung der Dinge, ein anderer Blick auf die Welt.“
Zaha Hadid
Info:
www.argos-graz.at
www.zaha-hadid.com
www.wegraz.at
www.cserni.at
Fakten:
Wohn- und Bürohaus ARGOS Burggasse 15, 8010 Graz   Â
Bauherr: WEGRAZ Gesellschaft für Stadterneuerung und Assanierung m.b.H./A
Planung: Zaha Hadid Architects/GB
Statik: Vatter & Partner ZT GmbH/A
Ausführungsplanung: Architekt Martin Cserni/A
Holzbau: Kulmer Bau/A
Wohneinheiten: 24
Bruttogeschoßfläche: ca. 2.800 m2
Baubeginn: 2015
Fertigstellung: 2019
Â
Â
Â
Â