Resiliente Stadtentwicklung: The Next Step

  • Rotterdam ist ein international anerkanntes Vorzeigebeispiel für resiliente Stadtentwicklung und hat sich durch innovative Maßnahmen im Hochwasserschutz international einen Namen gemacht.© Â© iStock – atosan
  • Universitätsstraße im Zentrum von Wien:
    Universitätsstraße im Zentrum von Wien:
    Im Zuge der Initiative „Raus aus dem Asphalt“ läuft die Begrünung und Kühlung der Stadt in allen Bezirken auf Hochtouren.© Â© ZOOMVP.AT/Mobilitätsagentur Wien
  • CapitaSpring:
    CapitaSpring:
    Bjarke Ingels' gebaute Vision eines grünen Gebäudes für die resiliente Stadt Singapur mit extensiver Begrünung und Dachgärten für den „hauseigenen“ Obst- und Gemüseanbau.© Â© BIG/Finbarr Fallon
  • CapitaSpring - Singapur
    CapitaSpring - Singapur
    © Â© BIG/Finbarr Fallon
  • Mit einem Grünflächenanteil von 46 Prozent, Regenwassermanagement und einem eigens entwickelten Monitoring-System versucht die Seestadt Aspern in Wien ihre Ziele in puncto Resilienz zu übertreffen.© Â© Wien3420
  • Die Versickerung von Extremregenfällen im offenporigen Boden und die zeitverzögerte Abgabe in die Kanalisation verhindert einen Kollaps der Kanäle bei Starkregen.© @Luiza Puiu

In einer Welt, die sich immer schneller dreht, Veränderung zum Normalzustand und die permanente Optimierung und Anpassung zum „Modus operandi“ geworden ist, rückt der Begriff Resilienz zunehmend in den Fokus von Städteplaner*innen, Architekt*innen und politischen Entscheidungsträger*innen. Resiliente Stadtentwicklung ist der nächste Schritt in die urbane Zukunft.

Soziale, ökologische, ökonomische Nachhaltigkeit war jahrzehntelang das Credo für die Gestaltung und Weiterentwicklung unserer urbanen Umwelt. Angesichts multipler Herausforderungen, mit denen sich Städte rund um den Globus konfrontiert sehen, reicht Nachhaltigkeit alleine aber nicht mehr aus. Der Faktor Resilienz scheint die allgemein akzeptierte notwendige Erweiterung zu sein, um Städte überlebensfähig und für ihre Bewohner*innen ­lebenswert zu erhalten bzw. zu machen.

Von der Nachhaltigkeit zur Resilienz

Während Nachhaltigkeit auf die langfristige Schonung von Ressourcen und Umwelt abzielt, geht ­Resilienz einen Schritt weiter und hinterfragt, wie Systeme auf plötzliche Störungen reagieren und wie sie sich an neue Bedingungen anpassen können. Resiliente Stadtgestaltung oder -entwicklung bedeutet daher nicht nur, ökologisch zu bauen, sondern genauso soziale, ökonomische und technologische Aspekte in die gestalterischen und planerischen Überlegungen einfließen zu lassen und das Planen und Bauen in einem dynamischen Kontext zu denken.

Resiliente Stadtentwicklung zielt darauf ab, urbane Strukturen so zu gestalten und anzupassen, dass Städte auch unter unerwarteten Belastungen – wie Extremwetterereignissen, Ressourcenknappheit oder sozialen Krisen – vor allem funktionsfähig und lebenswert bleiben. Das erfordert einen dauerhaften Prozess der Anpassung und Transformation, damit Städte in der Lage sind, flexibel auf die unterschiedlichsten Szenarien zu reagieren. Dazu gehört auch die proaktive Einbindung von gesellschaftlichen, ökologischen und technologischen Innovationen. Resiliente Stadtentwicklung fördert im Idealfall Integration, Redundanz und Multifunktionalität – beispielsweise was den Umgang mit kritischer Infrastruktur betrifft, genauso wie die Durchmischung von Wohn-, Arbeits- und Grünflächen. Vor allem in jüngerer Vergangenheit konzentrieren sich die Initiativen auf blau-grüne Infrastrukturen, neue Mobilitätskonzepte und die Anpassung des städtischen Klimas, beispielsweise durch die Schaffung von Parks, die Verdichtung des Baumbestandes zu „urbanen Wäldern“ oder die Optimierung des innerstädtischen Regenwassermanagements.

Neue Ansätze in der Stadtplanung

Immer mehr Städte setzen in der Planung auf Klimaresilienz als eine der größten Herausforderungen für das zukünftige Leben im urbanen Umfeld. Die Entsiegelung von Flächen, die Schaffung von Retentionsräumen und die Förderung städtischer Begrünung sollen die „Verwundbarkeit“ gegenüber Hitzewellen, Sturm und Starkregen verringern. In diesem Zusammenhang gewinnt die Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung zunehmend an Bedeutung, hat diese doch die Macht, großmaßstäbliche sowie detaillierte Anpassungsmaßnahmen in die städtische Gesamtentwicklung zu implementieren. So genannte blau-grüne Lösungen verbinden dabei den Klimaschutz mit Biodiversität, dem sozialen Ausgleich und einer lebenswerten Stadtkultur. Wobei die erfolgreichsten Konzepte dabei auf ein Zusammenwirken von Forschung, Planung, Zivilgesellschaft und Kommunen setzen. Diese kollaborative Governance basiert auf partizipativen Planungsprozessen unter der Beteiligung von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren aus den verschiedensten Sektoren, wie Regierungen bzw. Gemeinden, Fachplaner*innen, gemeinnützige Organisationen bis hin zu einzelnen Unternehmen und den Stadtbe­wohner*innen. Als Ausgangspunkt haben sich dabei Reallabore bewährt, die beispielsweise autofreie ­Zonen oder temporäre urbane Freiraumgestaltungen in Form von Realexperimenten erproben und so das Transformationspotenzial im Sinne einer nachhaltigen, anpassungsfähigen Stadt aufzeigen.

Globale Zusammenarbeit 

Auf Kooperation und vor allem auf Wissenstransfer zwischen resilienzbereiten Städten setzt das im Jahr 2013 von der Rockefeller Foundation gegründete Resilient Cities Network (RCN). Dieses hat sich zum Ziel gesetzt, Städte weltweit zu befähigen, widerstandsfähiger gegenüber den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu werden – insbesondere gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels, urbaner Wachstumsprobleme und sozialer Krisen. Dazu bietet das RCN fachliche Beratung, den Austausch bewährter Praktiken sowie Werkzeuge an, mit denen Städte ihre Verwundbarkeiten analysieren und widerstandsfähige, adaptive Maßnahmen planen können. Hierbei werden systemische Ansätze verfolgt, die sowohl akute Schocks – wie zum Beispiel Naturkatastrophen – als auch chronische Belastungen – beispielsweise soziale Ungleichheiten, infrastrukturelle Defizite – adressieren. Das Netzwerk fördert außerdem die Integration von Resilienz in die nachhaltige Stadtentwicklung und setzt auf partizipative und innovative Governance-Modelle. Die weit über 100 Mitgliedsstädte des RCN verteilen sich über den gesamten Globus. Darunter finden sich einige Vorreiter in puncto Resilienz wie beispielsweise Singapur, New York City, Melbourne, London, Kapstadt, Rotterdam oder Wien.

Made in Singapur

Singapur ist eines der ersten Mitglieder des RCN und blickt auf eine lange Entwicklung zur Resilienz zurück. Der Fokus liegt dabei auf Großprogrammen für eine langfristige Stadtentwicklung, die neben der physischen Infrastruktur vor allem auch auf ­soziale Gemeinschaft abzielt. Zu den Resilienzmaßnahmen zählen unter anderem ein umfassendes Wasserbewirtschaftungsprogramm, bezahlbarer Wohnraum und die Förderung sozialer Gemeinschaftsprojekte. Als Inselstadt ist für ­Singapur aber vor allem auch die Vorbereitung auf den ansteigenden Meeresspiegel im Zuge des ­Klimawandels um rund einen Meter bis zum Jahr 2100 eine der größten Herausforderungen. Dafür werden Maßnahmen entwickelt, um die Hochwasserrisiken zu minimieren – beispielsweise durch die Errichtung von Dämmen oder den Erhalt von Mangroven. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Sicher­stellung der Ernährungssicherheit. So soll über die Erhöhung der Produktionskapazitäten und die Ausweitung der nachhaltigen Fischzucht bis zum Jahr 2030 30 Prozent des Ernährungsbedarfs lokal und nachhaltig gedeckt werden können.

Zur Minderung des urbanen Hitzeinseleffekts wurde zudem schon vor Jahren mit der gezielten Erhöhung der Anzahl innerstädtischer Grünflächen be­gon­nen. Parallel dazu wird auch die Architektur an­ge­passt, beispielsweise über die Verwendung ­kühler Farben an den Gebäudefassaden oder die ­Inte­gration von Fassaden- und Dachbegrünungen in neue Bauprojekte. Eines der jüngsten Projekte dieser Art ist das CapitaSpring-Gebäude, das sich durch seine biophile Architektur auszeichnet, extensive Begrü­nung und natürliche Belichtung einsetzt, um die Kühlung im Gebäude ebenso wie im Umfeld zu unterstützen. Ins Gebäude integriert ist auch eine vertikale „grüne Oase“ mit tropischen Pflanzen sowie ein Dachgarten, auf dem Obst und Gemüse für die Restaurants im Gebäudeinneren angebaut werden. Insgesamt über 80.000 Pflanzen sind fixer Bestandteil der Architektur – das entspricht einer Gesamtfläche von 8.300 Quadratmetern, was über 140 Prozent der Grundfläche beträgt. Die Planung stammt vom dänischen Architekten Bjarke Ingels.

Maßnahmen gegen „Land unter“

Mit Hochwasser kämpfte auch die niederländische Hafenstadt Rotterdam immer wieder im Laufe ihrer Geschichte. Heute ist Rotterdam ein international anerkanntes Vorzeigebeispiel für resiliente Stadtentwicklung und hat sich durch seine innovativen Maßnahmen im Hochwasserschutz international einen Namen gemacht. Mit schwimmenden Häusern, wasserdurchlässigen Straßenbelägen, multifunktionalen Deichen und einem durchdachten Regenwassermanagement ist die Stadt ein Paradebeispiel für die Zusammenführung von technischer Innovation, Klimaanpassung und urbaner Lebensqualität. Auch Rotterdam ist aktives Mitglied im RCN und teilt seine Erfahrungen weltweit.

Im Rhein-Maas-Delta gelegen, ist Rotterdam besonders stark vom Anstieg des Meeresspiegels sowie von Starkregenereignissen betroffen. Im Rahmen der Rotterdam Adaption Strategy (RAS) wurde die Klimaanpassung zum integralen Bestandteil aller Stadtentwicklungsprojekte erhoben. Die Ergebnisse zeigen sich bereits in der Statistik: Rotterdam verfügt über eine Viertelmillion Quadratmeter Gründächer, die einerseits CO2 absorbieren und gleichzeitig Regenwasser zurückhalten und erst zeitverzögert in die Kanalisation abgeben oder gänzlich absorbieren. Multifunktionale Flächen – wie beispielsweise auch Parkplätze – dienen als zeitweilige Wasserauffangbecken und Wasserflächen sind generell fixer Bestandteil der Stadtgestaltung. So tragen diese sowohl zur Klimatisierung in den Sommermonaten bei als auch zur Speicherung und Rückhaltung von Regenwasser.

Eines dieser gelungenen Resilienzprojekte ist der Waterplein (Wasserplatz) Renthemplein, der insgesamt bis zu 1,8 Millionen Liter Wasser speichern kann und in der regenfreien Zeit als öffentlicher Begegnungsraum und Platz für Veranstaltungen genutzt wird. Womit er nicht nur die lokale Identität stärkt, sondern auch zahlreiche Nachbarschaftsaktivitäten fördert.

Sonne – Wasser – Grün

Auch in Österreich bereiten sich die Städte auf den Klimawandel vor und üben sich in Resilienz. Die Seestadt Aspern in Wien gilt dabei als eines der ambitioniertesten Stadtentwicklungsprojekte Europas und dient als Vorzeigemodell für resiliente Stadtgestaltung. Dabei verfolgt die Seestadt Aspern den ganzheitlichen Ansatz Ökologie, soziale Teilhabe, Digitalisierung und wirtschaftliche Nachhaltigkeit unter einen Hut zu bringen. Als Steuerungs- und Bewertungsinstrument wurde dafür im Jahr 2022 von der Wien 3420 AG gemeinsam mit Urban Innovation Vienna das EVA-Zielsystem (Evaluierung und Zielsystem Aspern) entwickelt, das als Grundlage für ein kontinuierliches Monitoring der Projektziele der Seestadt Aspern dient. EVA soll sicherstellen, dass die Seestadt ihren Anspruch als nachhaltiger, lebenswerter und resilienter Stadtteil erfüllt.

EVA sieht unter anderem einen Grünflächenanteil von mindestens 35 Prozent vor. Aktuell liegt dieser in der Seestadt bei rund 46 Prozent und übertrifft die Vorgaben damit bei Weitem.

Auch in der Seestadt setzt man auf Regenwassermanagement und so wird nach dem Schwammstadt-Prinzip aller Regen lokal gespeichert, gefiltert und als See genutzt, um sowohl das Überflutungs­risiko zu minimieren als auch zur Verbesserung des lokalen Mikroklimas. Im Sinne der 15-Minuten-Stadt sind in der Seestadt 80 Prozent aller Alltagsziele zur Nahversorgung fußläufig oder mit dem Fahrrad erreichbar. Selbst die Architektur zeigt sich resilient und setzt neben Niedrigstenergieverbrauch über anpassungsfähige und einfach adaptierbare Grundrisse auf maximale Nutzungsflexibilität.

Im Flow

Resilienz ist kein erreichbarer Zustand, sondern ein anhaltender Prozess. Das heißt, dass eine resiliente Stadt lern- und anpassungsfähig bleiben muss. Die Stadtentwicklungsplanung funktioniert dabei am besten in Szenarien, die Umsetzung ist weit vorausschauend und in der Regel von mehreren Akteuren partizipativ getragen. Architektur und Stadtplanung sollten und können – schon allein aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung heraus – dabei nicht nur Werkzeuge sein, sondern aktive Treiber des Wandels.  

ZITAT:
„Immer mehr Städte setzen in der Planung auf Klimaresilienz als eine der größten Herausforderungen für das zukünftige Leben im urbanen Umfeld.“                                          

 

Bausteine der resilienten Stadt 

  • Grün-blaue Infrastrukturen: Stadtgrün, urbane Wälder, Dach- und Fassadenbegrünung sowie Regenwassermanagement sind zentrale Elemente, um Hitzeinseln zu reduzieren, Biodiversität zu fördern und Starkregenereignisse abzufedern.
  • Multifunktionale Räume: Öffentliche Räume müssen flexibel nutzbar sein – als Treffpunkt, Veranstaltungsort oder Notfallfläche. Temporäre Architektur und modulare Systeme bieten hier neue Möglichkeiten.
  • Soziale Resilienz: Eine resiliente Stadt ist auch sozial gerecht. Beteiligungsprozesse, Nachbarschaftsnetzwerke und eine inklusive Stadtplanung stärken den sozialen Zusammenhalt.
  • Digitale Resilienz: Smart-City-Technologien ermöglichen eine datenbasierte Steuerung von Energie, Verkehr und Sicherheit. Sensorik und KI können Frühwarnsysteme für Extremwetterereignisse oder bei Pandemien unterstützen.