Weiterbauen am Bestand

  • Das sanierte Pfarrheim im oberösterreichischen Andorf
    Das sanierte Pfarrheim im oberösterreichischen Andorf
    © Tp3 Architekten/Mark Sengstbratl
  • Beispielgebend für eine „Kultur der Reparatur“:
    Beispielgebend für eine „Kultur der Reparatur“:
    Die Sanierung des Pfarrheims im oberösterreichischen Andorf zeigt exemplarisch, wie man Bestand weiterbauen kann – ohne Abstriche in der Nutzung zu machen.© Tp3 Architekten/Mark Sengstbratl
  • Nutzen, was schon da ist, um die Geschichte eines Gebäudes weiterzuschreiben.
    Nutzen, was schon da ist, um die Geschichte eines Gebäudes weiterzuschreiben.
    Das war auch der planerische Ansatz bei Sanierung, Um- und Ausbau des Andorfer Pfarrheims.© Tp3 Architekten/Mark Sengstbratl
  • Alt und Alt-Neu im gestalterisch und funktional harmonischen Nebeneinander.© Tp3 Architekten/Mark Sengstbratl
  • Alt und Alt-Neu im gestalterisch und funktional harmonischen Nebeneinander.© Tp3 Architekten/Mark Sengstbratl

Das gilt nicht nur für einzelne Industrieprodukte, sondern vielmehr noch für die Bauproduktion. Hier sind die Nutzungsdauern wesentlich länger und Vorgaben und Richtlinien in Bezug auf Energieeinsparung und Ressourceneffizienz zeigen nur auf lange Sicht Wirkung. Die Weiternutzung, Sanierung oder Revitalisierung, der Um- und Weiterbau von Bestandsgebäuden ist wesentlich sinnvoller und mit einem deutlich geringeren ökologischen Fußabdruck belastet als ein Abriss und Neubau.

„Es ist nicht alles schlecht, was alt ist“, lautet der Grundsatz des oberösterreichischen Planerteams von Tp3 Architekten, das sich neben dem Neubau unter anderem auf die Sanierung und Revitalisierung von Altbauten spezialisiert hat. Zahlreichen vermeintlichen Abbruchobjekten haben sie damit schon zu einem zweiten Frühling verholfen. Und liegen damit voll im Trend! Denn angesichts des enormen Energie- und Ressourcenverbrauchs, den das Bauen verursacht, wird man sich in Zukunft viel mehr Gedanken über den Erhalt und die Weiternutzung des Baubestandes machen müssen. Immerhin gehen rund 40 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes auf den Bau und den Betrieb von Gebäuden zurück, auch über die Hälfte des Müllaufkommens wird durch die Baubranche verursacht und rund 90 Prozent aller mineralischen und nicht nachwachsenden Rohstoffe werden heute zu Baustoffen verarbeitet. „Nutzen, was da ist“, lautet das Gebot der Stunde für einen klima- und sozialverträglichen Bausektor. Um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, bildet ein – nachhaltiger – Bausektor eine Schlüsselrolle.  

Lebenszyklus verlängern

Nüchtern betrachtet – abseits von jedweden baukulturellen oder kulturhistorischen Werten – sind Gebäude nichts anderes als besonders langlebige Wirtschaftsgüter. Was heute gebaut wird, hat nicht nur unmittelbare Folgen für Umgebung und Umwelt, sondern wirkt sich über Generationen hinweg aus bzw. hat selbst bei einer nur durchschnittlichen Gebäudelebensdauer zumindest Auswirkungen auf die nächsten 30 bis 50 Jahre. Deshalb sollten Gebäude nicht nur wirtschaftlich und umweltverträglich errichtet werden, sondern auch im laufenden Betrieb möglichst wenig Ressourcen verbrauchen. Nachhaltige Gebäude zeichnen sich durch einen sparsamen Betrieb aus, denn im Vergleich zu den Betriebskosten stellen die Errichtung von Neubauten oder auch die Sanierung von Bestandsgebäuden in der Regel den wesentlich kleineren Teil des Ressourcenverbrauchs sowie der Ausgaben dar.

Auf der anderen Seite müssen nachhaltige Gebäude aber auch so geplant und errichtet werden, dass sie möglichst flexibel nutzbar sind und über eine hohe Anpassungsfähigkeit verfügen. Nur so kann der Lebenszyklus von Bauwerken verlängert und deren ökologischer Fußabdruck verringert werden. Vor allem dann, wenn man die Graue Energie miteinrechnet. Dazu zählt jene Energie, die zum Gewinnen von Materialien erforderlich ist, ebenso wie die Menge an Energie, die für den Transport, die Herstellung und die Verarbeitung von Bauteilen benötigt wird. Die Verlängerung der Lebensdauer durch die weitere Nutzung, Sanierung, den Um- oder Ausbau von bestehenden Bauwerken ist in nahezu 100 Prozent der Fälle mit einem deutlich geringeren Energie- und Ressourcenaufwand verbunden als ein Abriss und Neubau. Beim nachhaltigen Planen und Bauen gilt es also nicht nur den Neubau im Fokus zu haben, sondern vor allem den Bestand zu betrachten und Möglichkeiten für den Erhalt und die Nutzungsverlängerung zu erarbeiten.  

Best Practice: Geschichte weiterschreiben

„Klar, eine Sanierung ist zeit- und kostenintensiv“, weiß Andreas Henter, Geschäftsführer von Tp3 ­Architekten, aus eigener Erfahrung, „aber der Einsatz lohnt sich. Alte Gebäude, die seit Jahrhunderten Teil des Stadtbildes sind, wertvolle Säulen oder Böden, die längst vergangene Zeiten spürbar machen – für viele hat das einen höheren Wert als ein wirtschaftliches Schnäppchen.“ Sanierungen sind nicht nur aus ökologischer Sicht sinnvoll, sondern erfüllen auch eine soziale und kulturelle Aufgabe. Die Geschichte eines Gebäudes weiterzuschreiben, heißt auch bereits vorhandene Strukturen zu nutzen. Wege, das Umfeld, die Nachbarschaft und die gesamte Infrastruktur sind bereits vorhanden. Wer an einem anderen Ort neu anfängt, lässt diese gewachsenen Strukturen zurück und leistet der in Österreich ohnehin rekordverdächtigen Flächenversiegelung weiter Vorschub. Weiterbauen am Bestand ist nach Andreas Henter „ein Neuanfang, ohne die Wurzeln zu kappen.“ Und im Idealfall ergänzen sich Alt und Neu und verleihen dem Objekt einen interessanten neuen Charakter. So geschehen beispielhaft beim Pfarrheim im oberösterreichischen Andorf, das nach langen Anlaufschwierigkeiten, vielen Entwürfen und Nutzungskonzepten im Jahr 2017 umfassend saniert und erweitert wurde. Dem voraus ging ein Workshop mit den Architekten, an dem nicht nur die Mitglieder des Pfarrgemeinderates teilnahmen, sondern auch alle anderen Interessensgruppen – wie Frauenbewegung, Jungschar, Katholische Jugend, Landjugend, Theatergruppen etc., die das Pfarrheim regelmäßig nutzen. Ein Abriss und Neubau stand trotz der in die Jahre gekommenen Baustruktur, der nicht vorhandenen Isolation, der veralteten Gebäudetechnik und der verwinkelten Raumanordnung nie zur Diskussion. Unter anderem auch deshalb, weil die neue Bauordnung der Diözese einen Pfarrsaal in der bestehenden Größe nicht mehr genehmigt hätte. Der Workshop brachte für alle Interessensgruppen und ehrenamtlichen Helfer die einende Idee. Nach der Sanierung erstrahlt das Pfarrheim in neuem Glanz und bietet den Andorfern vielfältige Nutzungsmöglichkeiten in gestalterisch ansprechenden und funktionalen Räumlichkeiten. „Es ist unglaublich, welche Räumlichkeiten aus dem einst verzwickten Pfarrheim entstanden sind“, so das Fazit der Pfarrgemeinde.  

Sanieren für die Zukunft

Wer sich mit nachhaltiger Architektur und Bauproduktion beschäftigt, kommt in Zukunft an der Auseinandersetzung mit dem Thema Sanierung des Baubestandes nicht mehr vorbei. Lange Zeit galt der Abbruch von alten Gebäuden und der Ersatz durch energieeffizientere Neubauten als adäquater Lösungsweg, den Energiebedarf im Gebäudebestand zu reduzieren. Rechnet man aber die Graue Energie bzw. die Grauen Emissionen in diese Bilanz ein, sieht das Ergebnis ganz anders aus: Langfristig haben Sanierungen immer die Nase vorn! „Ein wichtiger Hebel für die Bauwende liegt in der Vermeidung von Abriss und der ganzheitlichen Sanierung von Bestandsgebäuden, nicht im (Ersatz-)Neubau. Verlängert die Lebensdauer von Gebäuden, anstatt sie abzureißen!“, steht deshalb auch ganz oben auf der Forderungs­liste der „Architects for Future“, einer Untergruppe von „Fridays for Future“, die sich für eine klima- und sozialgerechte Bauwende einsetzen und zum Weiterbauen am Bestand aufrufen.

Von der Bauordnung zur UMBauordnung

Für das Weiterbauen des Bestandes braucht es die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen. Wie diese beispielsweise aussehen könnten, demonstriert die Initiative „UMBauordnung“ der deutschen Bundesarchitektenkammer (BAK), die Mitte Mai ihren Vorschlag für eine neue Musterbauordnung präsentierte. Dieser zeigt, wie die Bauordnungen angepasst werden müssten, damit der Bestandserhalt im Sinne der nachhaltigen Nutzung natürlicher und bestehender Ressourcen gefördert wird. Ein wesentlicher Bestandteil der neuen

Muster-UMBauordnung ist weiters die Nachverdichtung im Bestand, samt starkem Fokus auf grüne Infrastruktur, mit dem Ziel einer kompakten Stadt- und Siedlungsstruktur mit qualitativ hochwertigen Freiräumen bei möglichst viel Erhalt von Bausubstanz. „Um die Klimaziele zu erreichen, muss dem Gebäudesektor eine Kehrtwende hin zu einer neuen Umbaukultur gelingen. Das schließt Neubau natürlich nicht aus. Aber die Zeiten, in denen erhaltenswerter Bestand abgerissen wird, müssen endlich vorbei sein“, lautet das Fazit der deutschen Architektenschaft.

Umbauen im Kopf

Rechtliche Rahmenbedingungen zum Schutz des Bestandes sind ein Schritt in die richtige Richtung. Das alleine wird den erhaltenswerten Bestand aber nicht vor dem Abriss retten. Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken oder vielmehr einen „Umbau im Kopf“, wie es die Tp3-Architekten formulieren: „Alte Gebäude, urbane Ruinen und Leerstände in der Landschaft werden oft voreilig abgerissen oder sich selbst überlassen, ehe über eine Sanierung nachgedacht wird.“ Der Grund dafür? „Weil es bequem ist! Ebensowenig, wie man sich die Mühe machte, einen kaputten Gebrauchsgegenstand zu reparieren, will man sich einer Sanierung stellen.“

Erhalten statt ersetzen

Auch die „Architects for Future“ wollen ein Ende des willkürlichen Abreißens und Neubauens und fordern die Einführung einer verpflichtenden Abrissgenehmigung. Eine solche Genehmigungspflicht bei Abbrüchen hat beispielsweise die Stadt Wien erlassen. Im Zuge der im Juli 2018 in Kraft getretenen Bauordnungsnovelle benötigen alle vor 1945 errichteten Gebäude eine Abbruchbewilligung. Die Entscheidung darüber, ob ein Altbau erhalten oder ersetzt wird, fällt dann in den Magistratsabteilungen 19 (Stadtgestaltung) und 37 (Baupolizei). Entscheidungsgrundlage ist, ob im Zusammenhang mit dem Bestandsgebäude „ein öffentliches Interesse an der Wirkung auf das öffentliche Stadtbild besteht“ – oder eben nicht.

Aktuell steht in der zweiten Jahreshälfte die nächste Novelle der Wiener Bauordnung an. Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál hat im Vorfeld bereits eine Verstärkung des Schutzes der Wiener Gründerzeitbebauung angekündigt, um in Zukunft dem zu leichten „Herausbegutachten“ von erhaltenswerten Gebäuden mit privat beauftragten Gutachten einen Riegel vorzuschieben.        

ZITAT:

„Sanieren ist ein Neuanfang, ohne die Wurzeln zu kappen.“
Andreas Henter, Tp3 Architekten