Grüne Antwort auf die Klimakrise

  • Begrünte Gebäude sind mehr als nur Fassadenbehübschung.
    Begrünte Gebäude sind mehr als nur Fassadenbehübschung.
    Grüne Wände tragen wesentlich zur Verbesserung des Mikroklimas bei, schützen vor sommerlicher Ãœberhitzung und verbessern die Luftqualität nachhaltig.© CCO/pixabay.com
  • Im Kampf gegen urbane Hitzeinseln:
    Im Kampf gegen urbane Hitzeinseln:
    die begrünte Fassade der Zentrale von Wiener Wasser in Wien-Mariahilf.© Wiener Wasser/Zinner
  • Grüne Insel im Zentrum von Düsseldorf.
    Grüne Insel im Zentrum von Düsseldorf.
    Entworfen wurde das grüne Büro- und Geschäftsgebäude Kö-Bogen II vom Düsseldorfer Architekten Christoph Ingenhoven als architektonische Antwort auf den fortschreitenden Klimawandel und die Erwärmung der Städte.© WOLFGANG SCHREIER
  • Immergrün.
    Immergrün.
    Das grüne Neubauprojekt der UBM in Berlin-Pankow zeichnet sich durch seine vertikalen Gärten aus, die jedem Bewohner privaten Grünraum vor der Balkon- oder Terrassentür zur Verfügung stellen und gleichzeitig das urbane Mikroklima positiv beeinflussen.© UBM Development
  • Ökolabor „Village im Dritten“ – Bauplatz 12A.
    Ökolabor „Village im Dritten“ – Bauplatz 12A.
    Begrünte Fassaden und Dächer sowie ein durchdachtes Begrünungs- und Durchlüftungskonzept sollen die Klima-Resilienz des neuen Stadtquartiers stärken. Architektur: Franz&Sue Architekten Bauträger: EGW Landschaftsplanung: EGKK© Franz&Sue
  • Village im Dritten – Bauplatz 8/Projekt „Bella Vista“.
    Village im Dritten – Bauplatz 8/Projekt „Bella Vista“.
    Eine lockere Begrünung der Fassade sowie die Beschattung sollen die Hitze von der Gebäudeoberfläche fernhalten. Der Innenhof wird mit Nebeldüsen und einem Wasserspiel ausgestattet. Architektur: Freimüller Söllinger Architektur Bauträger: BWS Landschaftsplanung: Carla Lo© Schreiner Kastler
  • Mit Grün an der Fassade Sympathiepunkte sammeln will auch Ikea.
    Mit Grün an der Fassade Sympathiepunkte sammeln will auch Ikea.
    Für seinen nachhaltigen Beitrag zu einer lebenswerten Stadt am Westbahnhof in Wien erhält das schwedische Einrichtungshaus das weltweit erste GREENPASS® Platinum-Zertifikat. Architektur: querkraft Architekten© Ikea

Grünflächen in der Stadt spenden Kühle und Schatten und helfen sommerliche Temperaturspitzen abzufedern. Vor dem Hintergrund des Klimawandels gewinnt innerstädtisches Grün zunehmend an Bedeutung und stellt eine der wesentlichsten Ressourcen für die Lebensqualität im urbanen Umfeld dar. Kostbar und heiß begehrt – sowohl bei den Stadtbewohner/innen als auch bei den Immobilienentwickler/innen, für die (Bau-)Grund und Boden viel zu wertvoll ist, um einfach „ungenutzt“ brach zu liegen. Politik, Architektur, Städte- und Landschaftsplaner sind in Zukunft mehr denn je gefordert, Stadt und Grünraum neu zu denken.  

Über die Hälfte der gesamten Weltbevölkerung lebt in urbanen Ballungsräumen, die immer mehr zu menschenfeindlichen Umgebungen werden. Und der Trend hält an: Baugrund für die wachsende Stadtbevölkerung wird überall knapp. Umso mehr, wenn das ungebremste Ausufern der Städte ins angrenzende Grünland falls schon nicht gestoppt, dann zumindest verlangsamt werden soll. Waren es in den 1950er Jahren weltweit noch knapp 30 Prozent der Menschen, die in Städten lebten, so soll sich in den kommenden zwei Jahrzehnten der Anteil der Stadtbewohner/innen auf über 60 Prozent verdoppeln. Ein Abflachen der Wachstumskurve oder gar eine Umkehr ist nicht absehbar.

Die Folgen sind neben dem immer rasanteren Flächenfraß der Stadt auch die zunehmende Verdichtung der Innenstädte. Immer schneller, immer dichter, immer höher wachsen die Gebäude in immer schwindelerregendere Höhen. Genauso wie die Grundstückspreise! Mit der urbanen Bewohnerdichte steigen auch Verkehr, Smog, Luftverschmutzung und Feinstaubbelastung sowie die Temperaturen in der Stadt – im wahrsten Sinne des Wortes angeheizt durch die fortschreitende Klimaerwärmung. Die ungeheuren Speichermassen aus Beton und Asphalt treiben die Tagestemperaturen zusätzlich in die Höhe und verhindern ein nächtliches Abkühlen der Stadtluft. Immer mehr Städten droht in den Sommermonaten der Klimakollaps. 

Grüne Architektur

Es geht aber auch anders: Weltweit haben die Stadtverwaltungen die Bedeutung von innerstädtischem Grün, von Pflanzen in der Stadt erkannt. Wo kaum noch Freiflächen für Grünanlagen zur Verfügung stehen, gewinnen die Gebäude selbst als Begrünungsflächen an Bedeutung. Die Bauwerksbegrünung stellt eine Möglichkeit dar, Städte wieder lebenswerter zu machen, wirkt sich positiv auf das urbane Klima aus und sorgt für psychische und physische Gesundheit der Stadtbewohner. Dabei beschränken sich Architekten und Landschaftsgestalter längst nicht mehr nur auf die Dächer, sondern nutzen ebenso die Fassade als Begrünungsfläche.

Wie sehr das Thema Bauwerksbegrünung in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hat, zeigt auch ein Blick in den jüngst veröffentlichten Austrian Green Market Report, der erstmals umfassendes Zahlenmaterial über die heimische Bauwerksbegrünungsbranche liefert. Im Rahmen dieser Marktforschungsinitiative der Europäischen Föderation der Bauwerksbe­grünungsverbände (EFB) und der Innovation Management Group GmbH (IMG) führte der Verband der Bauwerksbegrünung (VfB) die Marktforschung in Österreich durch. „Endlich haben wir fundierte Zahlen und Fakten, mit ­denen wir nach­weisen können, wie wichtig die Bauwerksbegrünung ist“, lautet das Resümee von Gerold Steinbauer, VfB-Präsident und Mitbegründer der EFB. Die Zahlen, die er in Bezug auf die heimische Begrünungsbranche nennt, sind beeindruckend: „Eine Million Quadratmeter Dachbegrünung, 40 .000 Quadratmeter begrünte Fassaden und rund 4.000 Quadratmeter Innenwandbegrünung werden jährlich in Österreich installiert“, so Steinbauer. Selbst unter der Annahme eines sehr moderaten Wachstums, wird die Bauwerksbegrünungsbranche innerhalb dieses Jahrzehnts ihren jährlichen Umsatz auf rund 270 Millionen Euro steigern, was einem Zuwachs von knapp 200 Prozent entspricht. 

Grün statt Grau

„Grüne Infrastruktur ist der Schlüssel zu einer nachhaltigen Klimawandelanpassung“, ist Leonore Gewessler, Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK), überzeugt. „Begrünungstechnologien liefern einen wertvollen Beitrag, um die dringend notwendige Anpassung unserer Städte und Gebäude an den Klimawandel zu bewerkstelligen“, heißt es so auch im Austrian Green Market Report. Um Kooperationen und Synergien im Forschungsbereich „Grüne Stadt“ zu fördern und die Umsetzung zukunftsweisender Projekte voranzutreiben, wurde im Rahmen von „Stadt der Zukunft“ das Forschungs- und Innovationslabor Grünstattgrau gegründet.

Lebenswerte grüne Städte 

Vorrangiges Ziel der Plattform Grünstattgrau ist es, Städte wieder grüner und damit in vielerlei Hinsicht auch lebenswerter bzw. menschenfreundlicher zu machen. Dabei sind die Voraussetzungen in den heimischen Großstädten durchwegs sehr gut. Immerhin führt beispielsweise die Bundeshauptstadt Wien seit Jahren immer wieder den Vergleich der weltweit lebenswertesten Städte an. Neben Sicherheit, Versorgung mit leistbarem Wohnraum, Arbeitsplätzen oder öffentlichem Verkehr haben auch Luftqualität und die Dichte an innerstädtischen Grünflächen einen wesentlichen Einfluss auf die Platzierung im internationalen Ranking. Und auch hier hat Wien die Nase vorn, ist sie doch beispielsweise auch eine der wenigen Großstädte, die auf einen Nationalpark innerhalb der Stadtgrenzen verweisen kann.

Im Ranking „The World’s 10 Greenest Cities 2020“ der kanadisch-amerikanischen Consulting-Agentur Resonance wurde Wien aus weltweit insgesamt 100 untersuchten Städten vor München, Berlin und Madrid auf Platz 1 gewählt. „Das ausgezeichnete Abschneiden unserer Stadt im Ranking zeigt, dass Wien in vielen Bereichen Vorbild für andere Metropolen ist. Die Parks und das viele Grün in der Stadt, das für alle Wienerinnen und Wiener zugänglich ist, macht die hohe Lebensqualität in der Stadt aus. Parks und der Wienerwald sind auch ein wichtiges Gut in Zeiten des Klimawandels“, kommentiert Bürgermeister Michael Ludwig die Auszeichnung.

Klimamusterstadt

Damit die Bundeshauptstadt auch in Zukunft eine der lebenswertesten Städte der Welt bleibt, wurde im April dieses Jahres mit rund 100 Millionen Euro das bislang höchstdotierte Förderprogramm für den Kampf gegen die Klimakrise verabschiedet. Damit soll Wien zur „lebenswerten Klimamusterstadt“ werden und gleichzeitig „ist jeder Euro, den wir in den Klimaschutz investieren, eine Investition in Arbeitsplätze, die es gerade jetzt in der Krise besonders braucht“, ist SPÖ-Klubvorsitzender Josef Taucher überzeugt.

(Bauwerks-)Begrünungen, Kühlungsmaßnahmen, Entsiegelung von Beton- und Asphaltflächen, Beschattungen, mehr Wasser und der Ausbau von Parks steht im Programm der Förderrichtlinie. Damit soll Wien im Kampf gegen die sommerliche Überhitzung international eine Vorbildfunktion übernehmen und anderen Großstädten national und international als Beispiel dienen. Denn neben der aktuellen Gesundheitskrise ist die Klimakrise eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre. So war das Jahr 2020 in Europa das fünftwärmste Jahr in der Messgeschichte. Auch die ­Hitzetage – sprich Tage mit über 30 Grad – nehmen in ganz Europa deutlich zu. Zwischen 1960 und 1990 gab es beispielsweise in Wien im Schnitt 9,6 Hitzetage pro Jahr, zwischen 2017 bis 2019 ­waren es bereits 38. Glaubt man einer aktuellen Studie der ETH Zürich, so wird Wien in Zukunft auch eine der am stärksten von Hitzewellen betroffenen Städte Europas sein. Bis zum Jahr 2050 wird demnach die Temperatur im Sommer um 7,6 Grad steigen. „Wir müssen deshalb nicht nur alles tun, um die Klimakrise aufzuhalten, sondern auch mit Grün und Cooling-Maßnahmen unsere Stadt ­abkühlen“, erklärt Klimastadtrat ­Jürgen Czernohorszky. „Raus aus dem Asphalt und viel mehr ­Begrünung und Kühlung auf Straßen und Plätzen ist die Antwort auf die längst spürbaren Auswirkungen der globalen Klimaerwärmung“, lautet auch der Ansatz von Planungsstadträtin Ulli Sima.

Öko-Labor

In unmittelbarer Nachbarschaft des Eurogate – der größten Passivhaussiedlung Europas – im dritten Wiener Gemeindebezirk entsteht bis zum Jahr 2026 mit dem „Village im Dritten“ in Kooperation der Stadt Wien mit ARE Austrian Real Estate ein neuer Stadtteil. Als Ökolabor sollen hier die Grundzüge des klimaresilienten Bauens im urbanen Raum umgesetzt und erprobt werden. Rund um einen rund zwei Hektar großen Park entsteht Wohnraum für rund 4.000 Menschen – unter Einsatz von Begrünung, Temperierung, Beschattung und Durchlüftung. Dieser Maßnahmenmix soll wesentlich zur Verbesserung des städtischen Mikroklimas als auch zur Bekämpfung der sommerlichen Überhitzung beitragen. Wirksame Dach- und Fassadenbegrünung, Beschattung von Aufenthaltsbereichen und Wegen, günstige Gestaltung von Oberflächen, Regenwasserrückhaltung sowie Sicherstellung von Durchlüftung werden in Summe eine Senkung der Außentemperatur bewirken.

Europas größte Grünfassade 

Auch andernorts in Europa reagieren Städte auf den Klimawandel und bereiten sich baulich auf wärmere Sommer vor. Wie zum Beispiel in Düsseldorf, der Heimatstadt von Architekt Christoph Ingenhoven. Mit dem Konzept für das Geschäfts- und Büroensemble Kö-Bogen II verwirklichte Ingenhoven die größte grüne Fassade Europas. Seit Jahrzehnten engagiert er sich mit Projekten auf fast allen Kontinenten und in unterschiedlichsten Klimazonen, um den Städten so viel Grün wie möglich zurückzugeben.

Ein Großteil der Fassade sowie die Dachfläche sind von einer Pflanzenhülle aus Hainbuchen bedeckt. Bei der Wahl der Bepflanzung war sowohl der Wasser- und Wärmehaushalt der Laubfläche als auch die CO2-Aufnahmefähigkeit der Hainbuchen ausschlaggebend. Die Laubfläche der Fassade mit einer Größe von mehr als 4 Fußballfelder ist ein immenser Energieumwandler. Die Begrünung verhindert, dass sich die Fassade bei starker Sonneneinstrahlung auf bis zu 70 Grad aufheizt und diese Wärme an die Umgebungsluft zurückgeht. Fast die Hälfte der Sonnenenergie wird in Wasserdampf umgewandelt. Durch die entstehende Verdunstung wird die Umgebungsluft gekühlt und die typisch urbane Lücke im natürlichen Wasserkreislauf wird geschlossen.

Grüner Architektur-Export

Ein Zeichen für eine grünere Architektur setzt auch der österreichische Immobilienentwickler UBM mit seinem kurz vor der Fertigstellung stehenden Projekt „immergrün“ in Berlin-Pankow am Rande des Ortsteils Prenzlauer Berg. Das zeitgemäße Neubauprojekt zeichnet sich durch seine „vertikalen Gärten“ aus, die den Gebäuden eine ganz besondere Atmosphäre verleihen. Alle Wohnungen verfügen über Balkon oder Terrasse, die Erdgeschoße über Terrassen. Zu den Wohnungen im 6. Stock gehören Dachterrassen. „In den umlaufenden Terrassen und Balkonen sind große begrünte Pflanzkästen integriert, so dass auf jeder Etage kleine private Gärten entstehen und die großzügige Freiraumgestaltung in der Fassade weitergeführt wird“, erläutert Sascha Zander vom Büro zanderrotharchitekten. Die üppig bepflanzten Balkone sind luftige, grüne Oasen für die Bewohner und gleichzeitig Lebensraum für verschiedene Pflanzenarten, Insekten und Vögel. Gleichzeitig beschatten sie die dahinter liegenden Wohnräume und sorgen für Frischluft und Abkühlung in den Abend- und Nachtstunden – ganz ohne Klimaanlage.   

Was begrünte Dächer und Fassaden leisten

Das Leistungsspektrum von begrünten Dächern und Fassaden reicht von der Funktion als Wasserspeicher über die Beeinflussung des Mikro-klimas bis hin zur Verbesserung der Lebensqualität. Bauwerksbegrünungen sind in ökologischer wie ökonomischer Hinsicht eine intelligente Alternative zu grauen Betonwüsten. Durch den hohen Versiegelungsgrad in den Städten kann Regenwasser nicht in den Boden eindringen. Das belastet Kanalsysteme und kann bei extremen Niederschlagsmengen zu Überflutungen führen. Bauwerksbegrünungen nehmen – ebenso wie der natürliche Boden – Wasser auf und geben es über die Pflanzen und Substrate zeitverzögert wieder an die Atmosphäre ab. Das entlastet nicht nur die Kanalisation, sondern trägt auch zur Luft- und Klimaqualität im Umfeld bei.

Darüber hinaus fungieren vor allem begrünte Fassaden als natürliche Klimaanlage für den ­Außenbereich. Pflanzen an den städtischen Fassaden produzieren nicht nur Sauerstoff und verbessern die Luftqualität, sie verdampfen auch Wasser und entziehen damit der Umgebung Wärmeenergie. Dadurch entsteht ein natürlicher Kühlungseffekt. Aber auch für die Innenräume sorgen Pflanzen auf dem Dach und an der Fassade für mehr Innenraumqualität: Blattwerk an der Fassade erhitzt sich nur unwesentlich mehr als die Umgebungsluft und schützt damit die Fassade bzw. das Gebäude selbst vor Überhitzung – auch ganz ohne technische Klima­anlage. Positiver Nebeneffekt ist eine deutliche Senkung der Energiekosten. Im Winter lassen die meisten Kletterpflanzen ihr Blätterkleid fallen und die Sonne kann das Gebäude erwärmen.                     

Zitat:
„Raus aus dem Asphalt und viel mehr Begrünung und Kühlung auf Straßen und Plätzen ist die Antwort auf die längst spürbaren Auswirkungen der globalen Klimaerwärmung.“
Planungsstadträtin Ulli Sima     Â