Bildung braucht Raum

  • Das Team von nonconform
    Das Team von nonconform
    © Leonhard Hilzensauer
  • Behutsam umgestaltet und an ausgewählten Stellen geöffnet.
    Behutsam umgestaltet und an ausgewählten Stellen geöffnet.
    So wurden im Leobener Bildungszentrum Pestalozzi Licht und Sichtbeziehungen zwischen Klassenraum und Erschließungsfläche möglich.© Kurt Hörbst
  • Herzstück ist ein großzügiger, heller Raum über mehrere Ebenen, eine Lern- und Pausenlandschaft mit Bibliothek für das Zusammenarbeiten und -leben unterschiedlicher Schultypen und Altersstufen.© Kurt Hörbst
  • Bildungscampus Moosburg
    Bildungscampus Moosburg
    © Astrid Meyer
  • Der Bürgermeister reagierte schnell: Aus einer Studie für die Erweiterung des Kindergartens entwickelte sich der erste Bildungsbau und eine langjährige Begleitung der Gemeinde bei der Erarbeitung eines räumlichen Masterplans für den Bildungscampus Moosburg.© Astrid Meyer
  • Architektinnen Johanna Treberspurg und Caren Ohrhallinger
    Architektinnen Johanna Treberspurg und Caren Ohrhallinger
    © 

Sie beteiligen Menschen und begleiten Veränderung: Das Wiener Architekturbüro nonconform hat eine klare Haltung zur Beteiligungskultur und zum Umgang mit sozialer und räumlicher Umwelt. Dabei vermittelt das kreative Kollektiv seine Sichtweisen, stellt diese zur Diskussion und lebt das, was auch in der eigenen selbstorganisierten Arbeitskultur im Büro vermittelt wird.

Von Barbara Jahn

Nonconform ist kein klassisches Architekturbüro. Es ist eine Denkfabrik, die sich sämtlicher Aspekte rund um das Wohnen, Arbeiten, Leben – kurz des Miteinanders – annimmt. „Die aktuellen sozioökonomischen und klimaökologischen Fragestellungen stellen unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund entwickeln wir gemeinsam Zukunftsbilder für Orte, Unternehmen und Bildungsinstitutionen. Wir stoßen Veränderungen im Großen wie im Kleinen an und begleiten sie mit Prozess- und Planungskompetenz. Dabei ermöglichen wir es den betroffenen Menschen, denen es ein Anliegen ist, sich bei der Entwicklung ihres Umfeldes einzubringen“, sagen die Architektinnen Johanna Treberspurg und Caren Ohrhallinger. „Mit analogen und digitalen Beteiligungs- und Planungswerkzeugen und Methoden schaffen wir eine kreative Arbeitsatmosphäre und klare Rahmenbedingungen, in denen Veränderung gewagt und von vielen mitgetragen wird. Wir sorgen für Transparenz sowie interdisziplinäre Vernetzung und geben unser Wissen gerne weiter – auf Konferenzen, in Vorträgen und mit unserer Akademie.“

Mehr Leben geben

Apropos Bildung: Ein heiß diskutiertes Thema, auch bei nonconform, denn es gibt viel zu tun. Die Linie ist jedoch klar. „Es tut sich definitiv ­etwas in der Bildungslandschaft. Wir beobachten, dass Bildungszentren als Bauaufgabe räumlich durchaus auf Basis der zeitgemäßen pädagogischen Konzepte errichtet werden, und man erkennt, dass sie großes Potenzial in sich bergen, soziale Treffpunkte für Gemeinden, Stadtteile oder Quartiere zu werden“, ist Caren Ohrhallinger überzeugt. „Es geht vor allem darum, den Begriff Bildungszentrum über die Schultore hinaus zu denken und Vernetzungen mit der Umgebung zu schaffen.“ So sollte zum Beispiel die Gestaltung von Foyer-Flächen so angelegt werden, dass auch öffentliche Veranstaltungen in der Schule stattfinden können, Bibliotheken als Synergie aus Schul- und öffentlicher Bibliothek gedacht werden oder Freiflächen auch außerhalb der Schulöffnungszeiten zugänglich sind. Der Beobachtung der beiden Expertinnen nach gibt es dennoch einige Möglichkeiten in der bestmöglichen räumlichen und zeitlichen Nutzung der Schulräume, die noch nicht zur Gänze ausgeschöpft sind. „Die meisten Schulen stehen in Wahrheit über drei Viertel der Zeit leer, wenn man über die Schultage (Ferienzeit) und Unterrichtszeiten hinausdenkt. Oft gibt es noch ein „Mascherl“-Denken, dass Räume nur für eine Funktion oder ein Fach genutzt werden können.“ Genau hier sehen sie großen Entwicklungsbedarf, wenn es darum geht, im Schulgebäude räumliche Synergien zu finden und die Räume bestmöglich zu nutzen. „Unser Anspruch ist es, ein Ergebnis zu entwickeln, wobei durch die Mehrfachnutzung mehr Raum für alle entsteht und dadurch etwa Erschließungsbereiche oder Treffpunkte wie das Foyer großzügiger gestaltet werden können, sodass attraktive Lern- und Lebensräume entstehen“, sagt Johanna Treberspurg und ihre Kollegin ergänzt: „‚Lernen‘ findet ja nicht nach Stundenplan statt, sondern rund um die Uhr, wenn es die Umgebung – sowohl die pädagogische als auch die räumliche – zulässt. Aber genau das ist ein Punkt, der meistens noch stiefmütterlich betrachtet wird. Das betrifft auch die Möblierung, die Materialien und somit die Atmosphäre in einem Schulgebäude. Wenn es der Anspruch ist, dass Schule nicht nur Lern-, sondern auch Lebensraum sein soll, dann müssen wir uns nur fragen, welche Vorstellungen von Materialien und Atmosphäre wir für unser eigenes Wohnzimmer haben. Was brauchen wir, um uns wohlzufühlen? Was ist der Anspruch an die Ausstattung? ‚Putzbar‘ oder ‚nutzbar‘?“

Miteinander statt nebeneinander

Geht es nach den beiden erfahrenen Architektinnen, so sind soziale Infrastrukturen wie Schulen oder Bildungscampusse die Motoren für die Entwicklung eines Quartieres beziehungsweise auch für die Belebung ihrer Umgebung – zum einen auf sozialer Ebene als Vernetzung ­zwischen verschiedenen Bildungsangeboten sowie damit potenziell verbundenen Zielgruppen zwischen Schule und Unternehmen und zum anderen ganz generell zwischen Bildungseinrichtungen und dem Rest der Gesellschaft. „Auf der konkret räumlichen Ebene wirkt es ganz unmittelbar auf die Sichtbarkeit der Kinder und Jugendlichen im Stadtraum und damit auf die Sichtbarkeit und Wertschätzung von Bildung in der Gesellschaft, wenn sich die Schule dem Stadtraum öffnet“, so Johanna Treberspurg. „Es gibt jedoch einige wichtige Aspekte, die bei der Entwicklung von einem Bildungscampus zu beachten sind. Auch wenn man sich viele Flächen teilt, braucht jeder Schultyp eine klare Zuordnung – so wie es in einer WG immer das „Eigene“ und das „Gemeinsame“ gibt. Besonders bei den Kleinen ist es wichtig, dass sie eine eigene „Heimat“ und einen geschützten Bereich haben, der sich in der Maßstäblichkeit und der räumlichen Gestaltung an sie anpasst. Dazu zählen nicht nur getrennte Eingänge der Schulstufen, sondern auch die Orientierung im ganzen Haus.“ Im Bildungszentrum Pestalozzi in Leoben konnten die Architektinnen gemeinsam mit den Nutzern die Frage beantworten, wie ein zeitgemäßer Bildungscampus in einer alten Schulkaserne umgesetzt werden kann. Konkret ging es darum, ein gemeinsames Zuhause für eine Volksschule, eine Neue Mittelschule und eine polytechnische Schule in einer unter Denkmalschutz stehenden Gangschule zu schaffen. Die Einbindung des Schulpersonals und der Schüler im Rahmen der Ideenwerkstatt hat nicht nur räumliche Synergien gebracht, sondern war der Grundstein für ein lebendiges Zusammenwachsen der drei Schulen in einem Gebäude.

Wenn Raum bildet

Dass gerade die beiden sich besonders für den Bildungsbau interessieren, kommt nicht von ungefähr. Das erste Projekt entstand aus einer Initiative in Moosburg, dem Heimatort eines der nonconform-Partner. Der Impuls war das Fehlen von Kinderbetreuungsplätzen und die hohe Nachfrage danach. „Dem ersten erfolgreich abgewickelten Projekt sind weitere Anfragen gefolgt, und wir haben schnell gemerkt, dass uns die Entwicklung von Bildungsbauten liegt. Die Aufgabe ist genauso vielseitig wie unsere Arbeitsweisen und Interessensgebiete“, erzählt Johanna Treberspurg. Sie hat neben dem Architekturstudium Kunstpädagogik studiert – das Interesse an der Entwicklung und Gestaltung von Bildungsbauten ist so von Beginn der Ausbildung an mitgewachsen. „Die Schule beziehungsweise der Lernraum ist für viele ein wichtiger und prägender Raum – im positiven und negativen Sinn. Hier einen Beitrag zu leisten, diesen Raum an die Bedürfnisse der Nutzer anzupassen und einen Ort zu schaffen, wo man sich wohlfühlt und der das Lernen unterstützt, finde ich eine sehr schöne Aufgabe.“ Caren Ohrhallingers Sensibilität für das Thema hingegen hat sich parallel zum Schulweg ihrer Tochter entwickelt. Aber auch von den lieblos, einheitlich und oft steril eingerichteten Räumen, in denen ein Kind jeden Tag sieben bis acht Stunden verbringen sollte, war sie nicht angetan. „Was ich vermisste, waren räumliche Freiheit, Wohnzimmeratmosphäre, Gemütlichkeit.“

Wissen und Teilen

Als fachliche Unterstützung haben sie mit dem Schulbau-Experten und Gründer der Plattform schulRAUMkultur Professor Michael Zinner eine Kooperation gestartet und die Expertise sukzessive mit neuem Wissen und Methoden angereichert. „Ich denke, das A und O ist das Kennen der Nutzungsbedürfnisse der Menschen, die täglich an diesem Ort lehren, lernen und arbeiten. Und diese Anforderungen an den Arbeitsraum und die Alltagsabläufe lernt man nur kennen, wenn man in dem Entwicklungs- und Planungsprozess intensiv mit allen Menschen, die das Gebäude nutzen, zusammenarbeitet und ihnen zuhört“, sagt Johanna Treberspurg. Caren Ohrhallinger fügt hinzu: „Gerade bei einer Welt, in der man selbst nicht unbedingt drinnen ist, ist es wichtig, zur eigenen Fach- eben diese Nutzungsexpertise abzuholen. Wir haben dazu ein Beteiligungsformat entwickelt, die nonconform ideenwerkstatt, in der wir in drei Tagen kompakt und vor Ort ein räumliches Konzept für die Aufgabenstellung erstellen. Das haben wir mit Michael Zinner gemeinsam weiterentwickelt und an die Anforderungen eines Schulplanungsprozesses angepasst. Dabei sprechen wir nicht nur mit den Lehrenden, sondern auch mit den Schülern und dem gesamten Schulpersonal. Dieses Eintauchen in die Welt der Nutzer und das gemeinsame Entwickeln ist ein ganz wichtiger Bestandteil, der Vertrauen und Akzeptanz für das Ergebnis und neue pädagogische Ansätze schafft. Es ermöglicht uns, mit unserer Schulbau-Expertise nicht nur ein maßgeschneidertes räumliches Konzept zu entwickeln, sondern eben auch den Nutzern, sich dieses aneignen zu können.“             

Zitat:
„Die Campus-Idee bietet die Möglichkeit, sanfte Übergänge zwischen den Altersstufen und Schultypen zu schaffen und das Potential von Flächensynergien zwischen den Bildungseinrichtungen zu entwickeln."
Caren Ohrhallinger         

nonconform

Architektin Johanna Treberspurg

  • seit 2013 Mitarbeiterin, seit 2020 Partnerin bei nonconform
  • Studium an der TU Wien und an der IUAV Venedig sowie an der Akademie der bildenden Künste (Kunstpädagogik)
  • 2008–2012 regelmäßige Mitarbeit in der Architekturvermittlung Biennale di Architettura Venezia und im AZW
  • Persönlicher Schwerpunkt: gemeinschaftliche Wohnformen (Baugruppe B.R.O.T. Pressbaum)

Architektin Caren Ohrhallinger

  • 2003 Partnerin und Geschäftsführerin bei nonconform
  • 2006 Entwicklung der partizipativen Planungsmethode nonconform ideenwerkstatt
  • 2016 Entwicklung der nonconform akademie als Weiterbildungsangebot für innovative Bürgerbeteiligung
  • Persönliche Schwerpunkte: Zukunftsentwicklung für Raum und Organisation in Unternehmen, regelmäßige Tätigkeit als Vortragende

Gemeinsame Schwerpunkte: Moderation, Prozessbegleitung, partizipative Planungsprozesse im ländlichen und urbanen Raum in der Bildungs- und Schulraumentwicklung Â