Interview Albert Achammer: Von „New Life“ bis „Green Deal“
Albert Achammer gründete für das Unternehmen mit mehr als 1 000 Mitarbeitenden an elf Standorten in DACH und CEE den neuen ATP-Standort Hamburg und setzt sich mit seinem ganzen Tun für einen Kulturwandel beim Planen und Bauen ein. Dieser sei seiner Meinung nach längst überfällig. Sein ist Ziel klar: Die Welt mit seinen Gebäuden besser machen. Was ihn darüber hinaus noch alles bewegt, hat er Barbara Jahn im Interview erzählt.
Von Barbara Jahn
Weiss: BIM, integrales Arbeiten und KI – drei Begriffe, die mit dem Namen ATP stark verknüpft sind. ÂHaben Sie schon während Ihres Studiums in diese ÂMaterie hineingeschnuppert? Und wenn ja, wie intensiv? Wie waren Ihre ersten Gehversuche, und wie haben diese Sie geprägt?
Albert Achammer: Alle drei Begriffe sind stark mit Âunserem Unternehmen verknüpft und doch ist es mir wichtig, sie nicht gleichzustellen. Die interdisziplinäre, gemeinschaftliche Zusammenarbeit oder ÂIntegrale Planung, wie wir es nennen, ist in diesem Sinne kein Tool, sondern eine Haltung. Die Anwendung von digitalen Prozessen und Tools, wie wir das durch BIM und diverse KI-Tools praktizieren, baut auf dieser Haltung auf. Unserer Meinung nach ist aber die Haltung als Grundlage dafür essenziell. Ich habe an der ETH in Zürich einen sehr umfassenden Architekturbegriff gelernt. Ähnlich wie in vielen anderen deutschsprachigen Universitäten ist das Curriculum sehr vielseitig und interdisziplinär. Ich genoss sozusagen keine fachspezifische Ausbildung, sondern wurde in baumeisterlicher Tradition zum Generalisten erzogen. Dies war für mich ein wesentliches Element, um die Vorzüge der Integralen Planung später zu begreifen und zu leben. BIM befand sich damals noch sehr in den Kinderschuhen. Trotzdem war ich immer sehr technikaffin und habe mich früh für parametrisches Design, zuerst nur geometrisch und später mit Nutzung von Information, interessiert. So habe ich auch meine letzten Semester und mein Diplom in Âeiner BIM-Software erstellt. Das war damals allerdings noch sehr sperrig. Erst später, im Berufsleben, konnte ich das große Potential so richtig begreifen.
Weiss: Diese Werkzeuge ermöglichen es Ihnen, mit Ihrem Team absolut zukunftsorientiert zu arbeiten. Wie lässt sich das aus Ihrer Sicht mit den großen Herausforderungen unserer Zeit verbinden?
Albert Achammer: Alle drei Themen sind stark von einem Wort abhängig: Information. Information ist der Schlüssel zu den Herausforderungen unserer Zeit. Die Kunst ist es allerdings zu begreifen, welche Information zu welchem Zeitpunkt wo auftauchen muss. Wir müssen und mussten erst lernen, damit umzugehen. Es gibt Beispiele von Gebäuden, bei Âdenen mittels Sensorik eine Unzahl an Informationen erstellt und gesammelt werden, diese Informationen aber nicht sinnvoll ausgewertet werden können. ÂDiese Beispiele sind für uns als Unternehmen eine Lehre, sich vorab Gedanken zu machen, wo mit einem bestimmten Tool die Reise hingehen kann. Dies gilt sowohl für das Aufsetzen von Gebäudemodellen in BIM als auch für die Entwicklung von neuen KI-Tools. Nach einer Probier- und Prototypenphase muss ein klarer Plan her, ansonsten endet die Entwicklung im Chaos.
Weiss: „New Life“, „Green Deal“ – das sind erfolgsversprechende Ansagen. Was steckt dahinter, und wie kann mit Ihren Arbeitsmethoden die Umsetzung erreicht werden?
Albert Achammer: Wir sind davon überzeugt, dass wir als Architekt/innen und Ingenieur/innen eine große Verantwortung tragen; nicht nur für die Umwelt, sondern vor allem auch für die Gesellschaft und unser Zusammenleben. Es gibt gewisse Themen, die wir als Architekt/innen stark beeinflussen können und die wiederum große Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben. Die Wiederbelebung unserer europäischen Innenstädte ist ein solches Thema, dem wir mit der unternehmens- und branchenübergreifenden Initiative „New Life“ Rechnung tragen. Ebenso haben wir in Bezug auf den CO2-Ausstoß als Branche eine enorme Verantwortung. Deshalb haben wir uns schon vor Jahren dem „ATP Green Deal“ verschrieben. Wir entwickeln Werkzeuge und Prozesse, um in unseren Planungen das Thema Nachhaltigkeit sichtbar zu machen und so mit unseren Auftraggeber/innen in einen offenen Diskurs gehen zu können. Beide Initiativen sind für uns sowohl nach innen als auch nach außen gute Katalysatoren, um die uns wichtigen Themen zu fokussieren.
Weiss: Eines Ihrer Steckenpferde ist die ganzheitliche Denkweise bei der Planung – ein wesentlicher Faktor, wenn man die äußerst bedenklichen Entwicklungen bei den Ressourcen, beim Bodenverbrauch, bei den Emissionen usw. betrachtet. Warum etabliert sich diese Arbeitsweise nicht so, wie man sich das wünschen würde?  Â
Albert Achammer: Das ist eine sehr berechtigte Frage. Keine andere Industrie könnte es sich leisten, solch ein Silo-Denken aufrechtzuerhalten. Die stagnierenden Produktivitätskennzahlen der Gebäudeindustrie im Vergleich zu allen anderen Geschäftsfeldern belegen dies. Das ursprüngliche Berufsbild eines Architekten ist dies eines Generalisten. Das hat unsere Zunft über die Jahre der Postmoderne verloren. In einer immer komplexer werdenden Welt ist dieser ignorante Zugang Ânatürlich fatal. Allerdings ist es auch nicht mehr möglich, alles Wissen in einer Person zu vereinen. Man Âbenötigt also integrale Netzwerke, um die Themen Âunserer Zeit zu lösen. Der ganzheitliche Planungsansatz, der aus solchen integralen Konstellationen entspringt, basiert aber auf einer kulturellen Haltung der ÂZusammenarbeit; nicht lediglich der Koexistenz. Diese Art der Zusammenarbeit und des grundsätzlichen Interesses für die anderen Disziplinen innerhalb der Planung muss ständig geübt und weiterentwickelt werden. Das ist sehr anstrengend und führt dazu, dass wir mit unserem integralen Büro nach wie vor ein gewisses Alleinstellungsmerkmal im deutschsprachigen Raum haben.
Weiss: Würden Sie sagen, dass das Integrale Arbeiten, bei dem ATP eine klare Vorreiterrolle einnimmt, eine Vorstufe für das Arbeiten mit Künstlicher Intelligenz ist?
Albert Achammer: Ich denke, dass dies indirekt jedenfalls so ist. Weil wir integral planen, haben wir eine sehr frühe Vorreiterrolle in der Digitalisierung unserer Arbeit durch BIM eingenommen. Dadurch haben wir eine Unmenge an eigenen digitalisierten Erfahrungen und Planungen. Eine gute Informations- und Datenbasis ist essenziell, um jegliche Art von KI-gestützten Entscheidungen, Optimierungen oder Prognosen durchführen zu können. Aber auch das interdisziplinäre Denken, das stark in unserem Unternehmen verankert ist, hilft dabei, neue, innovative Herangehensweisen zu entwickeln. Ohne unsere Vorarbeit durch Integrale Planung und BIM wären wir wahrscheinlich bei KI noch nicht so weit.
Weiss: Künstliche Intelligenz wird zwar schon länger eingesetzt, als man vermuten würde, aber für viele ist es trotzdem noch Neuland. Was macht für Sie persönlich die Faszination der Künstlichen Intelligenz aus?
Albert Achammer: Was ich persönlich (bisher) am spannendsten finde, ist die Möglichkeit, in sehr kurzer Zeit unglaublich große Datenmengen verarbeiten zu können. Die Kombination aus Mensch und Maschine erlaubt es, einerseits effizienter in repetitiven Tätigkeiten zu werden, andererseits auch ganz neue Ideen zu generieren, die aufgrund vieler physischer Zwänge gar nicht entstanden wären. In den wenigen Jahren, in denen wir mit KI-Anwendungen in der Praxis arbeiten, konnten wir dadurch schon diverse neue Wege finden, um Projekte effizienter, nachhaltiger und ressourcenschonender zu gestalten. Das begeistert mich.
Weiss: Worin sehen Sie die größten Vorteile in der Anwendung von KI in der Architektur und auch ganz generell?  Â
Albert Achammer: Kurzfristig sehe ich den größten messbaren Vorteil darin, Routineaufgaben zu automatisieren, den Entwurfsprozess zu optimieren und die Effizienz unserer Gebäude zu steigern. Dies sind Szenarien, die man durchaus schon als etabliert bezeichnen kann; sowohl in der Architektur als auch in anderen Branchen. Texte oder Bilder werden nicht mehr geschrieben bzw. gerendert, sondern gepromptet. Für die Zukunft in der Planung wird aber spannend, auf Basis von schon gebauten digitalen Modellen eine „Sprache: Gebäude“ zu entwickeln und somit durch Anforderungen, Beschreibungen etc. ein digitales Gebäudemodell inklusive relevanter Informationen erstellen zu können. Das wäre Neuland.
Weiss: Inwieweit nutzen Sie selbst KI für Ihre Arbeit?
Albert Achammer: Bei ATP nutzen wir KI bereits in verschiedenen Bereichen unserer Arbeit, insbesondere in der Analyse und Optimierung von Entwürfen, in der Projektplanung und in diversen Vorhersagen. Ebenso nutzen wir KI-Tools in frühen Entwurfsphasen unserer Projekte als Inspirationsquelle. Allerdings verwenden wir die diversen Tools als Ergänzung, nicht als Ersatz unserer Mitarbeiter/innen. Durch den Einsatz von KI-Tools können wir bessere Entscheidungen treffen, die nicht nur den aktuellen Bedürfnissen, sondern auch zukünftigen Herausforderungen gerecht werden.
Weiss: Für viele ist die KI – zumindest noch – gerade im kreativ-künstlerischen Bereich etwas, das Unbehagen erzeugt, vielleicht sogar Angst macht. Was würden Sie diesen Menschen sagen?
Albert Achammer: Genauso sehr wie sich heutzutage niemand mehr vor CAD oder BIM fürchtet, muss man sich auch bei KI-Anwendungen keine Sorgen machen. Ich würde unseren Kolleg/innen allerdings empfehlen, sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Denn Künstliche Intelligenz ist kein Ersatz für kreative Prozesse, sondern eine Erweiterung. KI kann neue Perspektiven und Möglichkeiten aufzeigen, die bisher nicht in Betracht gezogen wurden, und so den kreativen Prozess bereichern. Es geht darum, KI analog zu einem Bleistift als ein Werkzeug zu sehen, das hilft, bessere und innovativere Lösungen zu finden, nicht als Bedrohung für die menschliche Kreativität.             Â
Weiss: Sie sprechen von einem „Kulturwandel in der Planungsarbeit“. Dieser beginnt wohl, wie so vieles andere, im Kopf. Wie kann man diesen erreichen?
Albert Achammer: Dieser Kulturwandel muss sich gesellschaftlich realisieren. Unsere Welt war die letzten Jahrzehnte von einem starken Individualismus geprägt. Weil die Welt immer komplexer wird, musste sich jeder spezialisieren. Manche TGA-Ingenieur/innen verstehen sich nur noch als Spezialisten für ein kleines Teilgewerk und manche Architekt/innen verstehen sich nur noch als Spezialisten für Gestaltung. Beide möchten und können nicht mehr über ihren Tellerrand hinausschauen. Diese Gräben werden in unseren Schulen und Universitäten verstärkt. Um einen Kulturwandel anzuschieben, muss man früh starten. Man muss eine Offenheit für andere Fachbereiche, neue Technologien und Methoden erreichen. Dazu ist es wichtig, ein Umfeld zu schaffen, das Innovation und Experimentierfreude fördert und gleichzeitig die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Disziplinen stärkt. Nur durch eine solche integrative Kultur können wir die Vorteile moderner Technologien voll ausschöpfen und nachhaltige und innovative Lösungen entwickeln.           Â
Weiss: Sollte Integrales Arbeiten und Arbeiten mit KI verstärkt auf den Universitäten gelehrt werden?
Albert Achammer: Ja, wobei ich nicht daran glaube, dass man integrale Planung und KI in einem Studienfach lehren kann. Natürlich kann man die technischen Grundlagen lehren, aber die oben beschriebene Haltung muss sich bei den Studierenden selbst entwickeln. Allerdings können die Universitäten durch ihre Curricula die richtigen Umfeldbedingungen für solch eine neue Haltung schaffen. Dazu gehört viel Raum für interdisziplinären Austausch, kreative Arbeit und Experimente.Â
Weiss: Wo wird sich das alles Ihrer Meinung nach in Zukunft hin entwickeln? Worauf sollten sich Architekten, Planer, Entwickler, Interior Designer, Professionisten etc. in ihrer Arbeits- und Denkweise einstellen?
Albert Achammer: Angetrieben von den großen ÂHerausforderungen und auch Anforderungen an Âunsere gebaute Zukunft ist unsere Branche nun endlich dazu bereit, in der Digitalisierung große Schritte zu machen und zu anderen Industrien aufzuschließen. Die Künstliche Intelligenz wird dabei eine große Rolle spielen, aber nicht die einzige. Die Zukunft der Architektur und des Bauwesens wird weiterhin stark von technologischen Innovationen begleitet und geprägt werden. Architekt/innen, Planer/innen und alle Beteiligten sollten sich darauf einstellen, flexibler, datengetriebener und kollaborativer zu arbeiten. Um die Komplexität der Herausforderungen zu meistern, wird es immer wichtiger werden, integrative, kollaborative und interdisziplinäre Ansätze zu verfolgen.
Weiss: Glauben Sie, wird es eine weitere Stufe der Entwicklung geben? Steht dieser Sprung vielleicht schon bald bevor? Und wie kann das, was jetzt für Âviele noch neu ist, noch getoppt werden? Geht das überhaupt noch?
Albert Achammer: Rückblickend und nach vorne schauend befinden wir uns natürlich in einer sich ständig weiterentwickelnden Welt. Die Geschwindigkeit, mit der die Entwicklungen der Digitalisierung voranschreiten, ist beeindruckend schnell. Dies betrifft insbesondere die Veränderungsrate im Bereich KI. Davor muss man aber keine Angst haben, sondern mit Offenheit die neuen technologischen Möglichkeiten nutzen, um mit seiner Arbeit einen gesellschaftlichen Mehrwert leisten zu können. Als Architekt/innen und Ingenieur/innen wollen wir bei ATP die Welt mit unseren Gebäuden besser machen. Wenn uns der technologische Fortschritt dazu befähigt, dieses Ziel noch konkreter zu erreichen, werden wir auch gerne unseren Beitrag dazu leisten, diesen Fortschritt weiter voranzutreiben.                      Â
ZITAT:
„Man muss eine Offenheit für andere Fachbereiche, neue Technologien und Methoden erreichen."
Albert Achammer
PERSON:
Albert Achammer, MSc. ETH | Architekt | MBA
Nach beruflichen Lehr- und Wanderjahren bei unterschiedlichen Stationen in der Immobilienindustrie und bei Gerkan, Marg und Partner gründete Albert Achammer in Hamburg einen neuen Standort für ATP architekten ingenieure. Er hält einen Master of Science in Architektur von der ETH Zürich und einen MBA von der IESE Business School.