Herz, Hirn, Holz – eine Geschichte voller Leidenschaft
Als Stefan Zöllig 1997 das Unternehmen Timbatec gründete, war das nicht etwa erst der Anfang einer neu entdeckten Leidenschaft. Den Umgang mit Holz hat er als Tischlerlehrling von der Pike auf gelernt – ein Wissen, das er schließlich mit seinem Holzbau-Studium erweiterte und komplettierte. Doch es ist weit mehr als seine Arbeit, seine Aufgabe, sein Beruf. „Holz hat etwas von einer Naturreligion. Der Baum wächst, verbessert unser Leben. Und wenn er stirbt, lässt er uns weiterhin über sein Holz an seinem Leben teilhaben“, sagt der Holzbau-Ingenieur, der sich aus tiefster Ãœberzeugung mit dem Werkstoff auseinandersetzt, ja, sich stark damit identifiziert.Â
Von Barbara Jahn
Der Countdown läuft: In Anbetracht der globalen Klimasituation ist es höchste Zeit, dass es eine Zeitenwende gibt. Daran arbeitet Stefan Zöllig schon seit vielen Jahren, weil er nicht an eine Zukunft von Stahl und Beton sowie die Kombination daraus glaubt. „Es spricht alles für Holz: Beton ist kalt, Holz ist warm, Beton ist nass, Holz ist vom ersten Tag an trocken, Beton ist schwerfällig und schmutzig, Holz leicht und sauber, Beton ist langsam, Holz lässt sich sehr schnell verbauen“, kehrt er die eindeutigen Vorteile hervor. „In puncto Brandschutz ist Holz heute ebenso sicher wie Beton. Vor allem aber verursacht Beton CO2-Emissionen, Holz speichert dagegen das Treibhausgas, eine ganze Tonne pro Kubikmeter. Das wichtigste Argument für mich persönlich ist aber, dass Holz ein gutes Gefühl vermittelt.“ So verfolgt er das klare Ziel, für Projekte möglichst ohne zusätzliche Materialien auszukommen. Um das zu erreichen, investiert er viel in Entwicklung und Forschung. Ein Meilenstein in der Firmengeschichte ist die patentierte TS3-Technologie, die sich mittlerweile von einem gemeinsamen Studienprojekt mit der Fachhochschule Bern und der ETH Zürich zu einem erfolgreichen Baukonzept weltweit entwickelt hat. Mit dem System können große Flächen entstehen, wobei die Idee, Holzbauteile stirnseitig zu verkleben, das Kernstück darstellt. Damit wird eine Stützen-Plattenbauweise ermöglicht, wie sie bis dahin nur mit Stahlbeton möglich war. „Mit unseren TS3-Vergusstechnologien können wir Bauteile in jeder Form und Größe verbinden, sodass dies dem Beton nicht nachsteht. Wir experimentieren zudem mit gebogenen Formen“, scheut Stefan Zöllig den direkten Vergleich mit Beton nicht. „Es gibt natürlich einiges, was wir heute noch nicht mit Holz bauen können: Hochhäuser rein aus Holz, Tiefgaragen, Hohlkästen für Straßen- und Eisenbahnbrücken, Schwerlastbrücken über Autobahnen oder Tunnels.“
Von Ufer zu Ufer
Es ist ein Gedankengut und eine Ãœberzeugung, die manchmal erst langsam ankommt. Einen langen Atem bewiesen hat Timbatec bei der Planung und Realisierung einer Wildtierüberführung über die Schweizer Autobahn A1 zwischen Gränichen und Suhr. Hier sollte eine 50 Meter breite Bogenkonstruktion aus Holz wieder das verbinden, was der Autoverkehr voneinander getrennt hat: Die Lebensräume von wildlebenden Tieren. Bereits vor 20 Jahren konnte Stefan Zöllig untermauern, dass Holz der richtige Baustoff für Wildtierbrücken sei. Doch die Mühe war nicht umsonst. Schließlich wurde dieser neue Korridor namens AG6 nach vorangegangener Gegenüberstellung unterschiedlicher Bauweisen umgesetzt, aus 156 vorgefertigten Brettschichtholzbögen. Eine bessere Öko-Bilanz und eine schnellere Ausführung mit dem nachwachsenden Material konnte letztendlich überzeugen. Das Projekt war in jeder Hinsicht sehr herausfordernd und äußerst ambitioniert: Da Bauprojekte über Verkehrswege stets eine heikle Angelegenheit sind, wurde ein Zeitplan ausgearbeitet, beim dem die ÂAutobahn für die Montage des Tragwerks in nur 24 Nächten jeweils für wenige Stunden auf zwei Fahrspuren reduziert wurde. Die jeweils zwei Tonnen schweren Träger sind 17,4 Meter lang, haben einen Querschnitt von 24 mal 76 Zentimetern und sind mit Stahlgelenken auf den Ortbetonwänden montiert. Die Träger sind aus Schweizer Fichtenbrettern und einem RF-Klebstoff formstabil verklebt. Alles in allem eine Pionierleistung.
Von Tier zu Mensch
Ein weiteres außergewöhnliches Projekt, das Timbatec begleitete, ist ein neues Mehrfamilienhaus in der Aargauer-Gemeinde Buchs, entworfen von der Andreas Marti & Partner Architekten AG. Ursprünglich in Massivbauweise geplant, kombiniert es nun die Vorteile des Holzbaus und der Massivbauweise. Die nur 39 Zentimeter dünnen Geschoßdecken aus Holz liegen auf filigranen Stützen. Da dank der TS3-Technologie keine Unterzüge nötig sind, werden die Räume und Fensterfronten nicht durch störende Querbalken beeinträchtigt. Die Vorteile der Holzbauweise sind deutlich sicht- und spürbar: In nur gerade einer Woche wurde das stattliche Gebäude aufgerichtet. Die sehr kurze Bauzeit ermöglichte den Verzicht von aufwendigen Sicherungsmaßnahmen entlang der Bahngleise. Im Inneren bieten die farblos lasierten Holzdecken eine angenehme Wohnatmosphäre. Außen strahlt der Holzbau mit einer hinterlüfteten, silbergrau pigmentierten Holzschalung. Die zurückhaltende Farbgebung verleiht dem Neubau einen zeitgemäßen architektonischen Ausdruck und schafft Assoziationen zum traditionellen Holzbau. Sogar die spiralförmige Treppe, die die drei Geschoßwohnungen inklusive Keller miteinander verbindet, wurde aus massiver Eiche konstruiert. Sie erfüllt sämtliche Auflagen, denn bei Mehrfamilienhäusern mit geringer Höhe (unter elf Metern) dürfen Treppenhäuser statt „RF1“ (nicht brennbare Materialien) auch „RF2“ (schwer brennbare und nicht brennbare Materialien) ausgeführt werden. Das ermöglicht die schöne Eichentreppe. Sie dient als Fluchttreppe und ist in einem Treppenhausschacht aus Brettsperrholz montiert. Das Brettsperrholz ist für den Brandschutz gekapselt – das heißt mit Gipsfaserplatten verkleidet.
Von Buchs nach Wien
Auch in Wien hat Timbatec eine Niederlassung, die örtliche Projekte betreut, wie beispielsweise ein ÂProjekt mit 53 Wohneinheiten an der Alszeile im 17. Wiener Gemeindebezirk. Dort errichtete die Bau- und Siedlungsgemeinschaft „Familienwohnbau“ vier neue Wohngebäude, in deren Untergeschoßen mit Kellerräumen und Tiefgarage sowie in den Stützmauern viel Beton verbaut wurde, jedoch überirdisch setzten die Planer auf den nachhaltigen Werkstoff Holz – sogar beim Treppenhaus und den Aufzugsschächten. Eine Konstruktion aus Brettsperrholzplatten mit einer Brandschutzbeplankung ermöglicht den Verzicht auf Stahlbeton im überirdischen Teil des Gebäudes. Das gibt dem Bau eine bessere Ökobilanz und sorgte für eine klare Schnittstelle zwischen Bauingenieur und Holzbauingenieur, die als interdisziplinäres Team sehr gut kooperierten und ihre Kompetenzen bündelten. Eine gute Zusammenarbeit kann auch ohne komplexe Plattformen und Tools stattfinden – sie bedingt Vertrauen und eine gute Planung der Schnittstellen. Diese sind meist dort, wo die verschiedenen Materialien aufeinandertreffen und Auflagerreaktionen entstehen – also da, wo die Lasten von einem Material zum nächsten weitergegeben werden. Bei den vier Mehrfamilienhäusern Alszeile ist das dort, wo die tragenden Wände und der Gebäudekern auf das betonierte Untergeschoß abgestellt sind. Die Nachhaltigkeit des Bauwerks, zu dessen Vorzügen neben den ökonomischen und ökologischen Vorteilen auch die angenehme Wohnatmosphäre zählt, wurde mit dem Silber-Label des österreichischen Standards „klimaaktiv“ belohnt.
Von West nach Süd
In einer anderen Ecke Wiens, im 23. Gemeindebezirk Liesing, entstehen gerade 44 neue Dachgeschoßwohnungen mit 2.380 Quadratmetern zusätzlicher Wohnfläche. Errichtet werden diese im Zuge von ÂSanierungsmaßnahmen bei fünf Wohnblöcken von Wiener Wohnen. Timbatec hat das Sanierungsprojekt über alle Planungsphasen begleitet. Im Zuge der Sanierungen werden die Fassaden gedämmt, die Fenster und Wohnungseingangstüren getauscht sowie Elektro- und Fernwärmeleitungen im Stiegenhaus und Keller saniert. Der Dachgeschoßausbau erfolgt in Form einer Holzmodulbauweise, die in der Gestaltung der Fassade und den Aufzugsbereichen klar ablesbar ist. Holz besitzt nicht nur eine sehr gute wärmedämmende Eigenschaft und kann durch eine wetterunabhängige Vorfertigung zu einer verkürzten Bauzeit beitragen, sondern sorgt auch für mehr Wohlbefinden und hat damit auch einen großen Einfluss auf die Gesundheit. Eines verbindet all diese und die vielen anderen Projekte: Bei Timbatec ist man stolz darauf, immer wieder Grenzen des Holzbaus in „höchster Perfektion“ zu überwinden.              Â
Â
ZITAT:
„2030 wird nichts mehr verbrannt, sondern jede gewachsene pflanzliche Faser in Bauprodukte oder Âandere langlebige Produkte umgewandelt. Denn Heizen ist falsch, das brauchen wir nicht mehr in modernen Gebäuden.“
Stefan Zöllig, Gründer von TimbatecAT
„Holz trägt mich – wirtschaftlich, emotional und auch spirituell.“
Stefan Zöllig, Gründer von Timbatec
Â
TIMBATEC
Timbatec wurde 1997 gegründet und gilt seither als Innovationstreiber der Holzbranche. Rund 60 Mitarbeitende sind an Standorten in Thun, Bern, Zürich, Delémont und Wien tätig. Das Ingenieurbüro ist spezialisiert auf Statik und Konstruktion, Brandschutz, Bauphysik und Produktentwicklung. Dazu beteiligt sich das Ingenieurbüro laufend an Forschungsprojekten in Kooperation mit Wissenschaft und Wirtschaft. Unter dem Dach der 2014 gegründeten Timbagroup Holding mit aktuell drei Tochterfirmen strebt das Unternehmen ein starkes Wachstum in der EU, den USA und Kanada an.
Â
Â