Demokratischer Holz-Baukasten

  • Pavillons für Ausschuss- und Büroarbeit
    Pavillons für Ausschuss- und Büroarbeit
    In den temporären Pavillons wird Ausschuss- und Büroarbeit geleistet. Die parlamentarischen Sitzungen finden in den Redoutensälen der Hofburg statt.© Parlamentsdirektion Bernhard Zofall
  • Einheitlicher Look
    Einheitlicher Look
    Das geschlossene Erscheinungsbild der Pavillons wird durch ein semitransparentes Netzgewebe gebildet, das gleichzeitig als Trägermedium für das demokratiepolitische Selbstverständnis Österreichs dient. © Parlamentsdirektion Bernhard Zofall
  • Neugestaltung des Wiener Heldenplatzes
    Neugestaltung des Wiener Heldenplatzes
    Die beiden symmetrisch angeordneten Parlamentspavillons gestalten den ­Wiener Heldenplatz neu. Die Sichtachse von der Hofburg zum Rathaus bleibt erhalten, der historisch aufgeladene Ort wird neu gedeutet.© Parlamentsdirektion Bernhard Zofall
  • Voll Recyclebar nach Rückübersiedlung
    Voll Recyclebar nach Rückübersiedlung
    Nach der Rückübersiedlung ins Parlamentsgebäude am Ring werden die Pavillons abgebaut und können als Kindergärten, Schulen oder rund 100 Einfamilienhäuser einer neuen Nutzung zugeführt werden.© Parlamentsdirektion Bernhard Zofall
  • Zeichnung der Pavillons
    Zeichnung der Pavillons
    Die Pavillons sind von Anfang an darauf ausgelegt, in kürzester Zeit errichtet und auch wieder abgebaut werden zu können – realisierbar nur durch Modulbauweise in Holz. © www.lukaslang.com

Das österreichische Parlament ist in die Jahre gekommen, an der altehrwürdigen Pallas Athene nagt der Zahn der Zeit. Vor 130 Jahren von Theophil Hansen an der Wiener Ringstraße errichtet, wird der neoklassizistische Prunkbau nun umfassend saniert. Die Abgeordneten übersiedeln derweil in ein Ausweichquartier auf den Wiener Heldenplatz und in den Bibliothekshof der Wiener Hofburg. Nach der Nutzung wird das innovative Bausystem demontiert und zum Großteil wiederverwendet.   

Im vergangenen Sommer haben Bauarbeiter die Herrschaft über das Parlament übernommen. Rund drei Jahre werden die umfassenden Sanierungsarbeiten in Anspruch nehmen.  In dieser Zeit tagen Nationalrat und Bundesrat in den Redoutensälen der Wiener Hofburg.

Die sonstige Parlamentsarbeit wird in drei temporäre Pavillons – einer im Bibliothekshof der Hofburg sowie zwei weitere direkt auf dem Heldenplatz – ausgelagert. Alle drei Gebäude weisen eine Grundfläche von rund 30 mal 40 Metern auf, die beiden Holzpavillons auf dem Heldenplatz sind dreigeschoßig ausgeführt, jener in der Hofburg verfügt über vier Geschoße. Damit steht in Summe eine Fläche von an- nähernd 11.000 Quadratmetern zur Verfügung.

Die umfassenden Sanierungsarbeiten am Parlamentsgebäude selbst starteten im Sommer des vergangenen Jahres. Der Auftrag für die Errichtung der temporären Ausweichquartiere auf dem Heldenplatz und im Bibliothekshof ging nach einem europaweit ausgeschriebenen Verhandlungsverfahren an die österreichische Strabag AG, die bei dem Projekt auch als Totalunternehmerin fungiert. „Wir sind stolz darauf, aus der Ausschreibung zu diesem prominenten Bauprojekt als Bestbieter hervorgegangen zu sein. Als Totalunternehmer haben wir nicht nur die Planung und Ausführung übernommen, sondern werden uns nach der Rückübersiedlung des Parlaments in das sanierte Haus auch um die abschließende Verwertung oder Nachnutzung der Pavillons kümmern“, erklärt Strabag-Vorstand Manfred Rosenauer. Für die Generalplanung des nicht alltäglichen Bauprojektes zeichnet die Werkstatt Grinzing WGA ZT GmbH verantwortlich.

Ökologisch und ökonomisch überzeugend

Für die Übersiedlung in die temporären Ausweichquartiere sprachen nach Prüfung aller Varianten durch die Parlamentsdirektion nicht nur die Nähe zu den Sitzungssälen in der Hofburg, sondern auch wirtschaftliche Überlegungen. Denn im Vergleich zu allen anderen Miet- und Aus­lagerungsoptionen sind die Holzpavillons die kostengünstigste und damit Steuergelder schonendste Variante. Aber noch zwei weitere Gründe überzeugten alle sechs im Nationalrat vertretenen Fraktionen vom Bausystem der Lukas Lang Building Technologies, einer Tochter des Strabag-Konzerns: Die kurze Bauzeit von in Summe nicht einmal vier Monaten und die Tatsache, dass alle drei Pavillons nach der Nutzung in knapp zweieinhalb Jahren wieder abgebaut und fast komplett wiederverwertet werden können.

Prominenter Standort

Möglich macht das ein innovatives Baukastensystem, das vom Wiener Unternehmen Lukas Lang Building Technologies (LLBT) Mitte der 1990er Jahre erfunden und seither weiterentwickelt und laufend optimiert wurde. „Wir können uns keinen schöneren Ort als den Heldenplatz vorstellen, an dem unsere Gebäude errichtet wurden“, freut sich Christian Leitner, Geschäftsführer der Lukas Lang Building Technologies, über den prestigeträchtigen Auftrag.

Modulares Bau-Kasten-System

Die standardisierten Bauteile werden aus heimischen Hölzern gefertigt und vor Ort auf der Baustelle mittels Schraub- und Steckverbindungen – ebenfalls eine eigene Entwicklung der LLBT – so montiert, dass sie jederzeit wieder getrennt werden können. Dank dieser fortschrittlichen Modulbauweise können Bauzeiten kurzgehalten und die Beeinträchtigung von Nachbarn und Anrainern durch Schmutz und Baustellenlärm auf ein Minimum reduziert werden. Das Baukastensystem überträgt laut Firmengründer und ­Erfinder Lukas Lang die Wirtschaftlichkeit der Autoindustrie und die Kreativität von Lego auf das Bauen. So arbeitet das Baukastensystem nicht mit vorgefertigten Modulen, sondern mit standardisierten Einzelteilen vom „Fließband“, die fast beliebig miteinander kombinierbar sind. Entsprechend simpel ist damit auch der Aufbau, für den man vereinfacht gesagt wenig mehr als einen Akkuschrauber und eine Hebebühne braucht.

Bei den mehrgeschoßigen Parlamentspavillons bildet ein Stahlbetonkern für die vertikale Erschließung mit Aufzug und Treppe die tragende Struktur. Ein weiteres Spezifikum des Bausystems sind die vergleichsweise großen Tragweiten. Neben den Vorzügen in Bezug auf den Preis und im Hinblick auf den Einsatz eines ökologischen Baustoffes war dieser Aspekt ausschlaggebend für den Zuschlag zur Realisierung durch den Auftraggeber. Das vorgegebene Raum- und Funk- tionsprogramm beinhaltet auch größere und vor allem stützenfreie Besprechungsräume. Hierbei trennte sich die Spreu vom Weizen in der Riege der verschiedenen Systembauanbieter. Denn die Anforderungen an stützenfreie Besprechungsräume hätten sich mit einer Vielzahl der angebotenen Systeme nicht umsetzen lassen.

Nachhaltig

Überzeugen können die Pavillons auch in Bezug auf Ökologie und Nachhaltigkeit. Nicht nur durch die einfache Möglichkeit des Abbaus und der Nachnutzung, sondern auch aufgrund der Tat-sache, dass das Bausystem sehr sparsam im Materialverbrauch ist. Die Menge an Fichtenholz, die für die Fertigung der Einzelelemente des Ausweichquartiers benötigt wurde, wächst in nur 30 Minuten in Österreichs Wäldern wieder nach.

Maximale Flexibilität 

Dank der modularen Bauweise kann die Raumaufteilung der Holzpavillons jederzeit an die Bedürfnisse der Nutzer und Nutzerinnen angepasst sowie sehr einfach und vor allem kostengünstig verändert werden. Flexibel zeigen sich die Parlamentspavillons auch in der Nachnutzung. So werden diese nach ihrem Einsatz am Heldenplatz wieder in ihre Einzelteile zerlegt und an einem anderen Ort mit einer möglicherweise ganz unterschiedlichen Nutzung wiederverwendet. Dafür wurde auch die Ausführung der Rigips Unterdecken angepasst. So könnten aus dem ehemaligen „Parlament“ zum Beispiel neun Kindergärten oder in Summe rund 100 Einfamilienhäuser entstehen.

Geschlossen wird der Holzrahmenbau mit über 1.300 Fassadenelementen – auch diese natürlich aus dem Baustoff Holz und in Holzrahmenbauweise in der Werkshalle vorgefertigt und vor Ort als Fassade montiert. Die Tragstruktur ist damit unabhängig von der Hülle, was den Einsatz unterschiedlicher Fassadenmaterialien und -designs ermöglicht. Befestigt werden die Fassadenelemente über verzinkte Stahlbetonschwerter – eine Technologie, die sich die LLBT aus dem Hochhausbau abgeschaut hat. 

Netzfassade

Das äußere Erscheinungsbild der beiden Pavillons entspricht deren temporären Charakter. Sie stechen aus dem Gebäudeensemble rund um den Heldenplatz hervor – eine ganz bewusste Ent­schei­dung der Planer, schließlich sind sie nicht für die Ewigkeit gedacht und sollen sich deshalb auch in Bezug auf die verwendeten Baustoffe deutlich von den Farben und Materialien der Umge­bung abheben. Anstatt eine aufwän­dige, teure und schwer rückbaubare Fassade zu errichten, hat man die beiden Gebäude rundum mit Netzfolien eingehüllt. Diese dienen vorrangig als Sicht- ­sowie auch als Sonnenschutz, werden darüber ­hinaus aber auch als unkonventionelle Informationsfläche genutzt, um Besucher, Betrachter und Benutzer gleichermaßen an die Grundzüge der Demokratie zu erinnern.

Preisgekrönt

„Die Idee, die Fassade mit ausgewählten Texten zur Demokratie zu bespielen, ist bereits für sich allein genommen faszinierend“, lautete die Begründung der Jury des German Design Award 2018, die die Fassade der Parlaments-Ausweichquartiere zum Gewinner der Kategorie „Excellent Communications Design“ kürte. Die Idee zu diesem ungewöhnlichen Kunst-am-Bau-Projekt stammt vom Vorarlberger Designbüro Sägenvier DesignKommunikation aus Dornbirn. Das Team rund um Firmengründer Sigi Ramoser hatte sich in einem Auswahlverfahren mit seinem Gestaltungskonzept behauptet. Es überzeugt durch Schlichtheit und Eleganz und setzt auf das Wort, das letztlich ja auch zentrales Element der Gesetzgebung ist. Also bot es sich für die Designer an, den Ort, an dem Gesetze gemacht werden, auch mit Gesetzestexten zu bespielen.

Vom Design zeigten sich auch die Jurymit-glieder beeindruckt, sehen sie in der Fassadenbespannung doch eine plakative Möglichkeit an die Grundsätze und Grundzüge der Demokratie zu erinnern – und zwar nicht nur für die Betrachter und Besucher von außen, sondern auch für die Parlamentarier selbst, welche im Inneren des ­Gebäudes die Schriftzüge ebenfalls vor Augen haben. Bleibt eigentlich nur abzuwarten, ob die erhoffte Wirkung auch eintritt.                     

 

Fakten:

Ausweichquartier Parlament Heldenplatz 1, Wien 
Bauherr: Parlamentsgebäudesanierungsgesellschaft m.b.H., Wien   
Totalunternehmer: Strabag AG, Wien
Architekt/Generalplaner: Werktstatt Grinzing WGA ZT GmbH, Wien
Tragwerksplanung:  Werkraum Ingenieure ZT GmbH, Wien
Holzbausystem:  LLBT Lukas Lang Building Technologies, Wien
Planungsbeginn: Mai 2016
Baubeginn: September 2016
Fertigstellung: Juli 2017

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